Patentstreit: Wenn Gemüse vor Gericht steht

(c) Bloomberg (Brendon Thorne)
  • Drucken

Umweltschützer fürchten eine Monopolisierung des Lebensmittelmarkts durch Biopatente. Eine Gerichtsentscheidung vom März setzt nun Europas Regierungen in Bewegung.

Wien. EP1069819. Hinter diesem Code verbirgt sich ein Brokkoli. Genauer gesagt, das europäische Patent auf eine spezielle Brokkolisorte, die laut Forschern besonders viele krebshemmende Zellen enthalten soll. Der Brokkoli hat eine eigene Homepage sowie einen eigenen Namen. Als Beneforté ist er seit 2011 in britischen Supermärkten erhältlich. Vertrieben wird er von Saatguthersteller Seminis – und kostet um 50 Prozent mehr als herkömmliche Züchtungen.

Abgesehen von Website und Namen hat der Brokkoli auch einen Rattenschwanz an Entscheidungen des Europäischen Patentamts (EPA) in München vorzuweisen. Fragt sich, wie es dazu kommen konnte: Dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) zufolge sind Patente auf Tiere und Pflanzen in Europa weitgehend verboten. Der genaue Wortlaut des Artikels 53b EPÜ: „Europäische Patente werden nicht erteilt für: b) Pflanzensorten und Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren.“

Dennoch hat das EPA bereits 120Patente betreffend konventioneller Züchtungen erteilt. Damit sind Neuzüchtungen gemeint, die durch herkömmliche Methoden wie das Kreuzen von Gemüsesorten– die alltägliche Tätigkeit eines Landwirts – zustande kommen. Weitere rund 1000 Anträge warten auf Genehmigungen. 2010 erregte die Große Beschwerdekammer mit einer Grundsatzentscheidung im Brokkoli-Fall Aufmerksamkeit. Gemeinsam mit dem ebenso umstrittenen Fall einer Paradeisersorte, deren Fruchtfleisch weniger Wasser speichern soll, entschied man, dass „im Wesentlichen biologische Verfahren“ nicht patentierbar sind. Das EPA ließ die Frage nach der Patentierbarkeit der Pflanze selbst offen. Umweltaktivisten sahen in dem Urteil einen ersten Schritt im Kampf gegen Agrarkonzerne wie Monsanto, die in ihren Augen über Biopatente eine Monopolstellung auf dem Lebensmittelmarkt erlangen wollen.

Fünf teilen sich Saatgutmarkt

Hier schließt sich der Kreis zu dem anfangs genannten Gemüsezüchter Seminis. Hinter diesem verbirgt sich niemand anderer als der Gentechnikriese Monsanto. Dieser hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Gemüsezüchtern aufgekauft. Konkurrenten wie das Schweizer Unternehmen Syngenta taten dasselbe. Eine Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2013 ergab, dass lediglich fünf Unternehmen 95 Prozent des europäischen Saatgutmarkts für Gemüse kontrollieren. Diese Agrochemiekonzerne reichen fleißig Patente für ihre wenig innovativen Kreuzungen ein.

Laut dem Landwirtschaftsexperten und Greenpeace-Berater Christoph Then sehen sie in den Patenten für konventionelle – also nicht gentechnisch gezüchtete – Pflanzen ein Einfallstor. Da der europäische Kunde genetisch verändertem Gemüse tendenziell skeptisch gegenübersteht, würde man über den Umweg versuchen, den europäischen Lebensmittelmarkt unter seine Kontrolle zu bringen.

Vor diesem Hintergrund gewinnen die Gemüse-Präzedenzfälle des EPA an zusätzlicher Brisanz: Nicht nur stellt sich die grundsätzliche Frage der erfinderischen Eigenleistung. Dazu kommen die Langzeitfolgen für den Verbraucher. Then: „Die Monopolisierung umfasst tatsächlich die gesamte Wertschöpfungskette.“

Im vergangenen März folgte der zweite, lang erwartete Spruch in der Causa Brokkoli und Paradeiser. Diesmal stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere weiterhin erteilt werden dürfen. Seitdem brodelt es in vielen EU-Ländern. Laut dem Aktivisten Then stimmen sich einige europäische Regierungen gerade hinter den Kulissen ab, um gegen das Urteil vorzugehen. Die Niederlande kündigten an, das Thema Biopatente im Zuge ihrer Ratspräsidentschaft 2016 stärker zu thematisieren. Sobald über die Beschwerden gegen das Urteil vom März entschieden ist, wolle auch Österreich im Europäischen Patentrechtsausschuss gemeinsam mit anderen Staaten eine authentische Interpretation des Patentverbots anstrengen, so Christian Weissenburger, Interimsleiter des Patentamts. Dafür muss aber eine Mehrheit im Verwaltungsrat, dem Kontrollorgan der Europäischen Patentorganisation, mobilisiert werden.

Als größten Feind einer legistischen Trendwende sehen Kritiker wie Then das Europäische Patentamt selbst: „Es finanziert sich über Patenterteilungen und Prüfungsgebühren und sieht sich als Dienstleister der Industrie.“ Die Entscheidungsgewalt über Biopatente bei ihm zu belassen sei angesichts der einseitigen Interessenlage fahrlässig, so Then.

Auf lange Sicht werde sich Österreich „für eine grundlegende Änderung des Europäischen Patentübereinkommens einsetzen“, stellte Technologieminister Alois Stöger im August klar. „Tiere und Pflanzen können und dürfen kein Fall für das Patentamt werden.“ Wenn man sich die Rechtspraxis des EPA ansieht, hat man den Eindruck, das sei längst geschehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.