Mühsamer Kampf gegen Steuervermeidung

FRANCE EU EUROPEAN PARLIAMENT
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Internationale Steuerpolitik. Die EU-Kommission unternimmt einen neuen Anlauf, die steuersparende Verlagerung von Gewinnen durch multinationale Unternehmen einzudämmen. Ob dieser Plan realisierbar ist, bleibt jedoch ungewiss.

Wien. Im Schatten der Flüchtlingskrise ist fast unbemerkt geblieben, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der EU auch Maßnahmen für mehr Fairness in der europäischen Steuerpolitik angekündigt hat. Es ist natürlich paradox, dass diese Ankündigung gerade vom ehemaligen Premier eines Landes stammt, das globale Konzerne zur Steuervermeidung eingeladen hat. Andererseits muss man Juncker als Politprofi wohl glauben, dass er in seiner neuen Funktion gesamteuropäische Interessen vertritt. Die LuxLeaks-Affäre dürfte sogar Auslöser dafür gewesen sein, dass die EU ihre auf Eis liegenden Steuerharmonisierungspläne wieder aufgreift.

Auf EU- und OECD-Ebene besteht mittlerweile Einigkeit darüber, dass der Steuerwettbewerb zwischen den Staaten nicht zu einer Effizienzsteigerung staatlicher Leistungen geführt hat. EU und OECD sprechen vielmehr offen von schädlichen Auswirkungen der internationalen Gewinnverlagerung. Der durchschnittliche Körperschaftsteuersatz der EU-28 ist von rund 35% im Jahr 1995 auf 23% im Jahr 2014 gesunken. Dadurch werden nicht nur die Staaten geschädigt, sondern auch die weniger mobilen kleinen und mittleren Unternehmen und die Arbeitnehmer, die ihre Einkünfte nicht verlagern können.

Angesichts dieser Entwicklungen hat die EU einen Aktionsplan für eine faire und effiziente Unternehmensbesteuerung präsentiert. Im Zentrum steht die Wiederaufnahme der Arbeiten an einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass multinationale Unternehmen ihren steuerlichen Gewinn künftig nach einheitlichen Regeln ermitteln sollen. Dieser Gewinn wird anhand eines Aufteilungsschlüssels zwischen den Mitgliedstaaten verteilt.

Schädliche Wahlmöglichkeit

Der bisherige Entwurf hat vorgesehen, dass sich Unternehmen frei entscheiden können, ob sie die europäische oder die nationale Gewinnermittlung wählen. Damit wäre das System der Konsolidierung aber kontraproduktiv, weil noch mehr steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten für die Unternehmen eröffnet würden. Der aktuelle Vorstoß will deshalb das neue System für alle multinationalen Unternehmen verpflichtend machen.

Selbst wenn sich die Mitgliedstaaten auf das an sich sinnvolle Konzept einer gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage einigen sollten, bleiben aber nahezu unlösbare Probleme bestehen. Eines davon betrifft den Aufteilungsschlüssel zwischen den Mitgliedstaaten. Im bisherigen Entwurf ist vorgesehen, dass die zwischenstaatliche Gewinnaufteilung anhand von Umsatz, Lohnsumme, Beschäftigtenzahl und Vermögenswerten eines Unternehmens erfolgt. Da auf die nationalen Gewinnanteile weiterhin die nationalen Körperschaftsteuersätze angewendet werden, entstehen für die Unternehmen Anreize, diese Faktoren gezielt in Staaten mit niedrigen Steuersätzen zu verschieben. So kann z.B. bei elektronischen Dienstleistungen nicht exakt geprüft werden, ob Umsätze, die ein Unternehmen von einem Land aus verrechnet, auch wirtschaftlich dort erzielt wurden.

Aber auch einzelne EU-Staaten könnten sich unfair verhalten. So ist vorgesehen, dass die Staaten durch ihr nationales Recht definieren, wer als Beschäftigter gilt. Ein Mitgliedstaat könnte durch Ausweitung der gesetzlichen Definition seinen Anteil am EU-Steuerkuchen erhöhen (z.B. durch Zurechnung der Beschäftigten eines Subunternehmens an den Auftraggeber).

Ein anderes Problem besteht darin, dass die Gewinnverlagerung in Steueroasen außerhalb der EU durch eine gemeinsame Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage nur begrenzt verhindert werden kann. Die EU will deshalb auch den Druck auf kooperationsunwillige Drittstaaten erhöhen. Wie dabei konkret vorgegangen werden soll und wie weit es gelingen kann, ist aber völlig unklar.

Der Entwurf zur gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage umfasst beinahe 100 Seiten. Damit birgt die Umsetzung auch die Gefahr, dass es für die Unternehmen nicht zur angekündigten Verringerung des Verwaltungsaufwands, sondern zu einer weiteren Verkomplizierung des Steuerrechts kommt. Und ob die umfangreichen Maßnahmen im Vorfeld in allen Details so weit durchdacht werden können, dass sich keine neuen Schlupflöcher auftun, muss sich erst zeigen.

Langwierige Umsetzung

Neben der EU hat auch die OECD umfassende Maßnahmen gegen die internationale Steuerumgehung geplant. Sollten sich die OECD-Staaten überhaupt auf entsprechende Maßnahmen einigen können, dann wird es jahrelang dauern, bis diese in den einzelnen Staaten gesetzlich umgesetzt sind. Und es ist zu befürchten, dass die nationalen Steuergesetze auch dadurch noch komplexer werden.

Die EU und OECD befinden sich in einer Zwickmühle, denn die angedachten Maßnahmen sind grosso modo zu befürworten. Sollten sie beschlossen werden, ist aber längst nicht sicher, dass sie zielsicher und effizient wirken werden. Die „New York Times“ brachte es kürzlich auf den Punkt: „They're trying to repair an old motorcar, but what they need is a new engine.“


Prof. DDr. Hermann Peyerl, LL.M. ist am Department für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Boku Wien tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2015)

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