Erbrecht: Viele Fragen bleiben offen

(c) Clemens Fabry
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Die Erbrechtsreform bringt Änderungen im Pflichtteilsrecht. Vor allem für nahe Angehörige, die auch Begünstigte der Privatstiftung des Erblassers sind.

Wien. Welche Neuerungen bringt das neue Pflichtteilsrecht für Privatstiftungen? Mit diesem komplexen, aber in der Praxis sehr relevanten Aspekt der Erbrechtsreform beschäftigte sich der Rechtsanwalt und Universitätsprofessor Johannes Reich-Rohrwig kürzlich bei einem Vortrag.

Und wer von den Pflichtteilsansprüchen von Ehepartnern, Kindern und deren Nachkommen spricht, landet auch schnell bei dem Thema Schenkungen. Jenen nämlich, die der Verstorbene noch mit warmer Hand an Pflichtteilsberechtigte oder Dritte gemacht hat. Ein heikles Kapitel, lässt des Erblassers Freigiebigkeit doch Schlüsse zu, wer ihm wirklich am Herzen gelegen ist. Diese stärkere emotionale Bindung soll jedoch nicht – so will es der Gesetzgeber auch weiterhin – zulasten der anderen Pflichtteilsberechtigten gehen: Der Lieblingssohn des Vaters kann also das geschenkte Haus in Capri beim Erben nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Er muss sich den Wert dieses Vermögens auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen, und zwar auch dann, wenn ihm der großzügige Papa das Domizil schon vor zehn Jahren übertragen hat.

Anders ist die Lage, wenn der Verstorbene gegenüber Dritten, etwa seiner Freundin, großzügig war und ihr zum Beispiel seine Oldtimersammlung überschrieb. Allerdings muss er das vor den letzten zwei Jahren vor seinem Tod getan haben, sonst können die Pflichtteilsberechtigten, sollten sie dadurch zu kurz kommen, von der Seelenverwandten des Vaters verlangen, das Geschenk oder seinen Gegenwert dem Nachlass wieder zuzuwenden. Ganz so, als wäre die Schenkung niemals erfolgt.

Umweg über Privatstiftungen

Was passiert aber, wenn der Verstorbene einen Umweg gewählt hat? Er also seinem Nesthäkchen das Haus im Süden nicht einfach schenkt, sondern einen Teil seines Vermögens in eine Privatstiftung einbringt und gleichzeitig seinen Sohn zu ihrem Hauptbegünstigten einsetzt?

Die Stiftung ist eine juristische Person. Lehre und Judikatur vertraten deshalb die Auffassung, Vermögenszuwendungen an sie seien wie Schenkungen an Dritte zu behandeln. Pflichtteilsberechtigte hatten also keine Möglichkeit, diese Zuwendungen dem Nachlass zurechnen zu lassen, wenn die Vermögenswidmung schon mehr als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers erfolgte.

„Eine unbefriedigende Rechtslage“, wie Reich-Rohrwig festhält. „Vor allem dann, wenn der einzig Begünstigte das Lieblingskind ist, aber etwa die Tochter im Rahmen der Stiftung gar nicht bedacht wurde.“ Nach alter Rechtslage galt: Da die Stiftung ein Dritter ist, gehen die anderen Kinder leer aus. „In diesem Punkt wurde das Erbrecht novelliert. Wenn die Begünstigten der Privatstiftung zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehören, müssen sie sich künftig diese Zuwendungen sehr wohl auf ihren Pflichtteil anrechnen lassen. Die Tochter kann also von ihrem Bruder verlangen, sich den Wert seiner Begünstigtenstellung wie ein Geschenk anrechnen zu lassen.

Mit dieser Neuregelung tut sich aber ein neues Problem auf: Wie sollen die Zuwendungen aus Privatstiftungen bewertet werden? Laut Regierungsvorlage ist dabei alles heranzuziehen, was der pflichtteilsberechtigte Begünstigte – im konkreten Fall der Lieblingssohn – bis zum Erbfall erhalten hat und danach noch erhalten wird.

„Gesetzgeber ist naiv“

Diese Anmerkungen des Gesetzgebers findet Reich-Rohrwig reichlich naiv: „Zu berechnen, was er künftig aus der Stiftung noch erhalten wird, ist wie Kaffeesudlesen. Das delphische Orakel wäre genauer“, sagt der Experte. Für den Begünstigten könne dies im Ergebnis jedoch im Extremfall den finanziellen Ruin bedeuten, weil er künftige Zahlungen der Stiftungen an sich rechtlich nicht durchsetzen kann.

Abstrus findet der Rechtsanwalt auch die Vorgabe des Gesetzgebers, dass die Einflussrechte des Begünstigten einzupreisen seien: „Dass Begünstigte einer Stiftung verdammt wenig Einflussrechte haben, das exerziert uns die Judikatur ja laufend vor. Selbst wenn sie maximal ausgestaltet sind.“

Selbst das, was der Begünstigte von der Stiftung in der Vergangenheit erhalten hat, könne nicht einfach undifferenziert auf seinen Pflichtteil angerechnet werden, sagt Reich-Rohrwig: „Diese Zuwendungen könnten ja einfachen Unterhaltscharakter gehabt haben. Wieso sich der Begünstigte diese Beträge anrechnen lassen müsste, wenn der Unterhaltsanspruch durch Ausschüttungen der Stiftungen gewährleistet wurde, verstehe ich nicht.“ Doch welcher Betrag steht dem Unterhaltspflichtigen denn zu? Auch darüber lässt sich trefflich streiten: „Studiert ein Kind, kann man wohl davon ausgehen, dass 1000 oder 1500 Euro Unterhalt angemessen sind, das, was darüber hinausgeht, eher nicht“, so der Anwalt.

Übrigens: Wer mit seinen Angehörigen so über Kreuz ist, dass er ihnen nicht einmal den Pflichtteil überlassen will, für den hat die neue EU-Erbrechtsverordnung eine Lösung parat. Sie gilt seit August 2015. Während sich bisher das anwendbare Erbrecht nach der Staatsbürgerschaft des Erblassers richtet, ist nunmehr sein letzter gewöhnlicher Aufenthaltsort entscheidend. Demnach bietet sich etwa Cornwall als Alterssitz an. Das englische Erbrecht kennt keinen Pflichtteil.

AUF EINEN BLICK

Die Erbrechtsreform bringt auch für Begünstigte von Privatstiftungen Änderungen. Wenn sie zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehören, müssen sie sich Zuwendungen, die sie als Begünstigte von der Privatstiftung des Erblassers bekommen, als Schenkung auf ihren Pflichtteil anrechnen lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2015)

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