Sammelklage: Österreichs „Krücke“, ein Dauermodell

Bei Massenschäden fehlt hierzulande ein Klagsmodell, das potenziell Geschädigte automatisch erfasst. Seit den Neunzigern arbeitet man mit einem Behelf.

Wien. Die Geschichte der österreichischen Sammelklage ist eine Geschichte über das Durchlavieren. Ende der Neunziger erkrankten hunderte österreichische Touristen in einem Clubhotel. Doch ein echtes, auf Leistung gerichtetes kollektives Rechtsschutzinstrument fehlte. Das rief den Verein für Konsumenteninformation (VKI) auf den Plan. Er ließ sich die Ansprüche aller Urlauber, die das wollten, abtreten, machte sie in einer Klage gegen die Hotelbetreiber gebündelt geltend und schaffte es, Prozessfinanzierer ins Boot zu holen, die bei Unterliegen des Klägers die Verfahrenskosten schultern würden. Die „Sammelklage österreichischer Prägung“ war geboren. VKI-Rechtsabteilungsleiter Peter Kolba: „Sie ist nicht untauglich, aber dennoch eine Krücke – erfunden aus der Not, da der Gesetzgeber nichts tut.“ Innerhalb Österreichs bewähre sich die von der Praxis entwickelte Lösung „ganz gut“. Bei grenzüberschreitenden Klagen ergeben sich jedoch Schwierigkeiten: Denn mit Klagsabtretung an den VKI verliert der Verbraucher seinen österreichischen Gerichtsstand. Wenn der VKI also gebündelte Konsumentenansprüche gegen ein deutsches Unternehmen geltend macht, kommt deutsches Recht zur Anwendung.

Mehr als 15 Jahre nach dem Reiseschadensfall hat sich im Rechtsbestand der Alpenrepublik nichts geändert. Die Behelfslösung österreichischer Prägung besteht nach wie vor. Trotz ihres Mankos, anders als die amerikanische Sammelklage (class action) auf dem Opt-in-Prinzip zu fußen. Was bedeutet: Nur solche Ansprüche werden berücksichtigt, die die Geschädigten rechtzeitig an den Kläger – in Österreich in den meisten Fällen den VKI – abgetreten haben.

Dabei schlummert seit 2007 in einer Schublade des Justizministeriums ein rot-schwarzer Arbeitsgruppenentwurf für eine Gruppenklage, von der jeder Geschädigte automatisch erfasst wäre. „Ich bin skeptisch, dass der VW-Skandal hier positive Auswirkungen hat“, sagt Konsumentenschützer Kolba. Dass die Grünen sie Mitte Oktober im Parlament aus Anlass des Abgasskandals wieder aus der Mottenkiste geholt haben, sei „eh schön von ihnen“, werde aber nicht viel ändern. Denn, so Kolba: „Die Diskussion wird nicht offen geführt.“ (loan)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.