Vergaberecht: Hoffnung auf mehr Rechtssicherheit

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Umstrukturierungen können Unternehmen um ihre öffentlichen Aufträge bringen, oft muss neu ausgeschrieben werden. Eine EU-Richtlinie könnte das ändern.

Wien. Noch wartet die aktuelle Vergaberechtsnovelle auf grünes Licht vom Verfassungsausschuss (siehe Artikel unten) – und schon sollte die nächste auf den Weg gebracht werden: Für drei EU-Richtlinien zum Vergaberecht endet die Umsetzungsfrist am 18. April 2016. Der jetzt vorliegende Entwurf berücksichtigt diese nur zum Teil.

Noch offen ist zum Beispiel, wie künftig öffentliche Vergaben im Bereich sozialer Dienstleistungen ablaufen werden („Die Presse“ berichtete). Aber auch für das heikle Thema Umstrukturierungen stehen unionsrechtliche Änderungen ins Haus. Dabei geht es um folgende Frage: Was passiert, wenn es bei Unternehmen, die öffentliche Aufträge bekommen haben, etwa zu Umgründungen, Übernahmen oder Fusionen kommt?

Nach geltender Rechtslage führt so etwas oft dazu, dass die Aufträge neu ausgeschrieben werden müssen. Wenn nach Erteilung des Zuschlags ein neuer Vertragspartner an die Stelle des bisherigen Unternehmens tritt, stelle das im Allgemeinen einen vergaberechtlich relevanten Auftragnehmerwechsel dar, erklärt Rechtsanwalt Rudolf Pekar (Kanzlei fwp). „Und das bedeutet grundsätzlich die Neuausschreibungspflicht.“ Vertragsänderungen nach Abschluss des Vergabeverfahrens können nämlich, wie Pekar sagt, Wettbewerbsrelevanz haben (zum Beispiel könnte ein Unternehmen ein anderes aufkaufen, um an dessen öffentliche Aufträge heranzukommen). So nachvollziehbar das in der Theorie ist – faktisch bedeutet es nicht nur monatelange Verzögerungen, sondern auch das Risiko des Auftragsverlusts für Unternehmen, die sich neu strukturieren wollen oder müssen.

Unionsrecht schafft Spielraum

Die neue Vergaberichtlinie 2014/24/EU könnte da mehr Rechtssicherheit bringen, sagt der Jurist: Sie schreibt erstmals fest, dass für Auftragnehmer der öffentlichen Hand Umstrukturierungsmaßnahmen grundsätzlich zulässig sind. Ein solcher Vertragspartnerwechsel gilt künftig nicht mehr als wesentliche Vertragsänderung, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Der umstrukturierte Auftragnehmer muss weiterhin den qualitativen Eignungskriterien entsprechen, es darf zu keinen wesentlichen inhaltlichen Änderungen des Auftrags kommen und keine Umgehungskonstruktion vorliegen.

Heute sind Auftragnehmerwechsel zwar ebenfalls nicht völlig ausgeschlossen, der Spielraum dafür hält sich aber in engen Grenzen. Maßgeblich ist nach wie vor die EuGH-Entscheidung im Fall Pressetext (C-454/06) aus dem Jahr 2008. Dabei ging es um die Veröffentlichung der Presseaussendungen der Republik Österreich durch die Austria Presse Agentur (APA). Der Vertrag darüber wurde immer wieder geändert und schließlich auf die APA-Tochter APA-OTS übertragen. Ein Mitbewerber der APA, die Pressetext Nachrichtenagentur, meinte, das mache eine Neuausschreibung erforderlich. Der EuGH sah das anders: Die Ausgliederung eines Auftrags an eine weisungsunterworfene hundertprozentige Tochtergesellschaft sei erlaubt, wenn ein Gewinn- und Verlustausschließungsvertrag vorliegt (was faktisch die wirtschaftliche Eingliederung ins Mutterunternehmen bedeutet) und wenn der ursprüngliche Auftragnehmer solidarisch mit der Tochtergesellschaft haftet. Außerdem dürfen die Geschäftsanteile an der Tochter während der Vertragslaufzeit nicht auf einen neuen Eigentümer übertragen werden.

Umstrukturierungen werden seither generell an diesen Vorgaben gemessen. Deshalb haben Unternehmen, die langfristige öffentliche Leistungsverträge haben, nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, ihre gesellschaftsrechtlichen Strukturen zu verändern. Grundsätzlich stelle die Richtlinie da jedenfalls eine Verbesserung dar, sagt Pekar.

Auch Umstrukturierungen im Rahmen einer Insolvenz könnten erleichtert werden – dieser Fall ist in der Richtlinie ebenfalls genannt. Wie wichtig das wäre, zeigte sich vor ein paar Jahren bei der Alpine-Pleite: Viele Baustellen konnten zunächst nicht fertiggestellt werden, selbst wenn sich Auffanglösungen abzeichneten. Damals wurde immer wieder eine Möglichkeit gefordert, ohne Einhaltung des Vergaberechts in bestehende Verträge einzusteigen. Das würde aber, damals wie heute, eine wesentliche Vertragsänderung darstellen.

Wichtig: Klare Kriterien

Jetzt kommt es darauf an, wie der Gesetzgeber den Spielraum nützt, den ihm die Richtlinie gibt. Wenn klare Voraussetzungen formuliert werden, unter denen künftig ein Auftragnehmerwechsel zulässig sein wird, können sich Unternehmen bei Restrukturierungen an diesen Kriterien orientieren.

Viel hängt auch davon ab, wie der Begriff „Unternehmensumstrukturierung“ überhaupt definiert wird. Ein Festhalten an den alten restriktiven Kriterien wäre nachteilig und eine stärkere Annäherung an die Praxis wünschenswert, meint Pekar. Dabei könnte sich der Gesetzgeber sogar ans derzeit geltende Vergaberecht anlehnen: Dieses kennt den Begriff des „verbundenen Unternehmens“ – vielleicht könnte ja das als Voraussetzung für das Vorliegen einer Umstrukturierung herangezogen werden. Das würde auch gleich ein bestehendes rechtliches Spannungsfeld ausräumen: Die Möglichkeit, Aufträge an solche verbundenen Unternehmen weiterzugeben und nicht bloß an Hundert-Prozent-Töchter, ist an sich schon jetzt im Vergaberecht vorgesehen. Weil sich der EuGH dazu aber nicht geäußert hat, wird das derzeit nicht so gehandhabt. Um auf Nummer sicher zu gehen, orientiert man sich faktisch nur an den viel engeren Vorgaben der Pressetext-Entscheidung.

AUF EINEN BLICK

Öffentliche Aufträge. Sie müssen ab bestimmten Schwellenwerten öffentlich ausgeschrieben werden. Ändert sich nach der Zuschlagserteilung etwas Wesentliches am Vertragsinhalt oder kommt es zu einem Auftragnehmerwechsel, ist grundsätzlich neu auszuschreiben. Dadurch können etwa Fusionen oder Übernahmen zu einem Verlust des Auftrags führen. Eine EU-Richtlinie hält nun erstmals fest, dass für Auftragnehmer der öffentlichen Hand Umstrukturierungen grundsätzlich möglich sind. Jetzt kommt es auf die Umsetzung durch den Gesetzgeber an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2015)

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