Ärzte als Dienstnehmer wider Willen?

Niedergelassene Ärzte sind klarerweise selbstständig – bei ihren Vertretern stellte die Finanz das schon infrage.
Niedergelassene Ärzte sind klarerweise selbstständig – bei ihren Vertretern stellte die Finanz das schon infrage.(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Rechtsunsicherheit. Fallen für Vertretungsärzte in Ordinationen womöglich Dienstgeberbeiträge an? Ein Streitfall löste Irritationen aus. Wie man sich vertraglich absichern kann, ist umstritten.

Wien. Krankenkassen und Finanzämter haben der Scheinselbstständigkeit den Kampf angesagt – auch im Bereich der Ärzteschaft. Erst kürzlich entschied der Verwaltungsgerichtshof (VwGH), eine Arbeitsmedizinerin, die für die AUVA Betriebsbegehungen machte, sei Arbeitnehmerin (2013/08/01217).

Ein anderer Fall ging vom VwGH wieder zurück an die Unterinstanz: Er betraf zwei Ärztinnen, die in der Ordination eines niederösterreichischen Urologen als Vertretung tätig waren. Auch sie stufte das Finanzamt als Dienstnehmerinnen ein. Der Inhaber der Ordination bekämpfte die Entscheidung. Der (damals noch zuständige) unabhängige Finanzsenat gab ihm recht, der VwGH hob dessen Bescheid jedoch auf: Das Gesamtbild einer Tätigkeit müsse darauf untersucht werden, ob Merkmale der Selbstständigkeit oder der Unselbstständigkeit überwiegen, so der VwGH. „Erst wenn die Behörde ein genaues Bild über die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit der beschäftigten Person, die Pflichten, die ihr obliegen, die Risken, die sie zu tragen hat, und ihre allfällige Weisungsgebundenheit besitzt“, könne sie darüber ein fundiertes Urteil abgeben (2011/15/0122).

Dieses genaue Bild fehlte ihm in dem Bescheid, eine endgültige Entscheidung steht noch aus. So viel ist aber klar: Für den VwGH ist es nicht in Stein gemeißelt, dass Vertretungsärzte in Ordinationen jedenfalls selbstständig sind, sondern in jedem Einzelfall zu prüfen.

Ein rechtliches Dilemma

Ärzten, die sich fallweise in ihrer Ordination vertreten lassen, bereitet das Kopfzerbrechen: Nicht nur, weil eine Anstellung teurer käme und weil Nachzahlungen drohen, wenn ein Vertretungsarzt nachträglich als Dienstnehmer eingestuft wird. Sondern auch wegen eines – ohne Gesetzesänderung unlösbaren – rechtlichen Dilemmas: Laut Ärztegesetz darf ein niedergelassener Arzt gar keinen anderen Mediziner in seiner Ordination anstellen. Es gibt aber Situationen, in denen Kassenärzte sogar verpflichtet sind, sich vor Ort vertreten zu lassen und nicht bloß ihre Patienten an Kollegen zu verweisen (etwa bei sehr langen Abwesenheiten). Oder man will die eigene Praxis nicht leer stehen lassen, während man z. B. auf Urlaub ist: etwa in kleinen Gemeinden, in denen es nur diese eine Ordination gibt. Oft wird auf diese Weise auch die Übergabe an einen Nachfolger vorbereitet: Übernimmt dieser im Vorfeld Vertretungen, lernt er nicht nur die Patienten kennen, sondern sammelt auch Punkte, die er braucht, um später einen Kassenvertrag zu bekommen.

Was also tun? Juristen raten, die Vertretung schriftlich so zu regeln, dass klar zum Ausdruck kommt: Hier wird kein Dienstverhältnis begründet. Umstritten ist aber, wie ein solcher Vertrag aussehen muss: So gibt es zwar auf der Website der Wiener Ärztekammer einen Mustervertrag, den die Kurie der niedergelassenen Ärzte erstellt hat. Dieser stößt aber bei der Österreichischen Gesellschaft für Medizinrecht auf heftige Kritik. Unter anderem, weil es darin heißt, der Vertreter sei für alle erforderlichen Berechtigungen – inklusive Eintragung in die Ärzteliste – selbst verantwortlich, und er dürfe sich auch „ohne Rücksprache mit dem Auftraggeber“ von qualifizierten Kollegen vertreten lassen.

All das soll die Eigenverantwortlichkeit des Vertreters unterstreichen. Alfred Radner, Präsident der Gesellschaft für Medizinrecht und Sozialversicherungsexperte, nennt das jedoch „wirklichkeitsfremd“: Verantwortlich sei trotzdem der Ordinationsinhaber, er müsse sich davon überzeugen, dass sein Vertreter die erforderlichen Berechtigungen hat. Er könne auch nicht einfach irgendeinen „Vertreter des Vertreters“ akzeptieren: „Kein verantwortungsvoller Arzt überlässt seine Patienten und Ordinationsräume Personen, die er gar nicht kennt. Das zu tun, wäre auffallende Sorglosigkeit und damit grob fahrlässig“, sagt Radner. Zudem öffne es für Ärzte, deren Kassenvertrag aufgelöst wurde, womöglich ein Schlupfloch, um doch wieder in einer Kassenpraxis zu arbeiten.

„Vertrag soll glaubwürdig sein“

„Die Presse“ fragte bei der Wiener Ärztekammer nach. Dort bestätigt man, dass sich ein Arzt sehr wohl von der Berufsberechtigung seines Vertreters überzeugen muss, das gehöre zur ärztlichen Sorgfaltspflicht. Lasse sich der Vertretungsarzt seinerseits vertreten, sei jedoch dieser dafür verantwortlich, nicht der Ordinationsinhaber. Trotzdem empfehle man, dass auch der Inhaber darüber Auskunft verlangen soll (was er laut Mustervertrag darf, aber nicht muss). Vertretungen ab sechs Wochen seien zudem der Kammer zu melden, über sechs Monate auch der Krankenkasse, die gegen den Vertreter Einspruch erheben kann.

Die Sorgfaltspflichten des Inhabers bildet der Mustervertrag nicht ab. Radner meint, das sei ein Manko: Der Vertrag solle, um glaubwürdig zu sein, dem zugrunde liegenden Sachverhalt entsprechen – sonst könnten Prüfer von Sozialversicherung und Finanzamt erst recht hellhörig werden und die Vereinbarung anzweifeln. Die Gesellschaft für Medizinrecht hat ebenfalls einen Mustervertrag erstellt. In diesem heißt es unter anderem, der Vertreter müsse es dem Ordinationsinhaber mitteilen, wenn er sich selbst vertreten lassen will. Der Inhaber könne den „Vertreter des Vertreters“ dann auch ablehnen und einen anderen bestellen.

Entwurf der Ärztekammer:
www.aekwien.at/index.php/aerztlichetaetigkeit/niederlassung-praxis/praxisvertretung

Entwurf der Gesellschaft für Medizinrecht:
www.medizinrecht-europa.eu/gerald-radner/

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2015)

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