Kein Freibrief zum Schnüffeln auf Computern

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Der Menschenrechtsgerichtshof gab einem rumänischen Arbeitgeber recht, der die Chats seines Mitarbeiters überwacht hatte. Das überrascht – aber was ändert es für die Praxis?

Wien. Damit haben die wenigsten gerechnet, und jetzt ist die Aufregung groß: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am 12. Jänner zugunsten eines Arbeitgebers, der den Yahoo-Messenger-Account eines Mitarbeiters überwacht und den Arbeitnehmer wegen privater Chats in der Arbeitszeit gefeuert hatte (Barbulescu v. Romania, Application no. 61496/08).

Ereignet hatte sich der Fall im Sommer2007. Der Mitarbeiter einer rumänischen Firma hatte den Messenger auf Wunsch seines Arbeitgebers für Kundenanfragen eingerichtet, dann aber eifrig privat benützt. Von 5. bis 13. Juli2007 ließ der Chef die Kommunikation des Mitarbeiters überwachen, informierte ihn nachher darüber und warf ihm vor, interne Regeln des Unternehmens zu verletzen: Festgeschrieben war, dass jede Nutzung von Firmencomputern, Telefonen, Kopierern und anderen Geräten für persönliche Zwecke verboten sei. Der Mitarbeiter bestritt den Verstoß – und erhielt daraufhin von seinem Chef eine 45 Seiten starke Mitschrift seiner Kommunikation. Sehr private Chats mit seiner Verlobten und seinem Bruder inklusive.

Paradigmenwechsel?

Das verstoße weder gegen die EU-Datenschutzrichtlinie noch gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens laut Artikel 8 der Menschenrechtskonvention, entschied der EGMR. Das Urteil ist umstritten, und es fiel auch nicht einstimmig. Aber ist es tatsächlich der große Paradigmenwechsel, zu dem es in Medien mancher Länder hochstilisiert wurde? In vielen Staaten – auch in Österreich – herrscht bislang die Ansicht vor, dass Arbeitgeber private Mails eines Mitarbeiters keinesfalls lesen dürfen, sondern die Pflicht haben, das Lesen oder Verwerten einer Nachricht sofort einzustellen, sobald sie erkennen, dass es um etwas Privates geht. Und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob die private E-Mail-Nutzung erlaubt, verboten oder gar nicht geregelt ist. Auch das Überwachen der Kommunikation, ohne es dem Mitarbeiter (oder bei einem konkreten Verdacht zumindest dem Betriebsrat) im Voraus zu sagen, gilt als unzulässig.

Muss man diese Ansichten jetzt revidieren? Auch in Österreich sind Juristen noch intensiv am Analysieren des Urteils – dass die Folgen gar so weit reichend sind, darf aber bezweifelt werden. Ein Freibrief zum Herumschnüffeln auf Computern von Mitarbeitern sei die Entscheidung definitiv nicht, sagt etwa Arbeitsrechtsexpertin Anna Mertinz – zumal es in der Causa um eine Interessenabwägung gegangen sei. „Da muss man die Umstände des Einzelfalls bedenken: Es gab hier ein Verbot der privaten Nutzung. Sonst hätte die Sache auch ganz anders ausgehen können.“

Verstoß gegen Arbeitspflicht

Gegen ein ausdrückliches Privatnutzungsverbot zu verstoßen ist in Österreich auch jetzt schon eindeutig eine Dienstpflichtverletzung. Arbeitgebern wird seit jeher geraten, klare Vereinbarungen über die Internetnutzung am Arbeitsplatz zu treffen – tunlichst schriftlich und vom Mitarbeiter unterschrieben. Andauerndes privates Chatten in der Dienstzeit kann einem Arbeitnehmer aber selbst dann zum Verhängnis werden, wenn es eine solche Vereinbarung nicht gibt. Dann gilt zwar grundsätzlich eine private Nutzung in bescheidenem Rahmen, etwa in Pausen oder bei betrieblichen „Leerläufen“, als erlaubt. Wer sich aber, statt zu arbeiten, andauernd mit Privatem beschäftigt, verletzt seine Dienstpflicht.

In Fällen, in denen es ein Verbot der Privatnutzung gibt, erleichtert das EGMR-Urteil jetzt möglicherweise die Überwachung der Einhaltung dieses Verbots. Die österreichische Rechtspraxis kann aber trotzdem den Schutz der Privatsphäre weiterhin strenger auslegen, als es der EGMR in diesem Einzelfall getan hat. Andererseits war es auch bisher nicht ausgeschlossen, Beweismittel vor Gericht zu verwenden, die ein Arbeitgeber durch „Bespitzelung“ seines Mitarbeiters gewonnen hat. Selbst wenn das widerrechtlich war, unterliegt es der freien Beweiswürdigung. Ein generelles Verwertungsverbot für widerrechtlich gewonnene Beweise gibt es in Österreich nicht.

In der Causa Barbulescu v. Romania muss indes noch nicht das letzte Wort gesprochen sein: Theoretisch könnte der Betroffene noch versuchen, die Sache vor die Große Kammer des Gerichts zu bringen.

AUF EINEN BLICK

Internetnutzung. In einem Fall aus Rumänien entschied der EGMR zugunsten eines Arbeitgebers, der Chats seines Mitarbeiters überwacht und den Dienstvertrag wegen verbotener Privatnutzung aufgelöst hatte. Die Auswirkung des Urteils ist umstritten. Laut herrschender Rechtsansicht in Österreich dürfen Arbeitgeber private Mails nicht lesen, wer aber gegen ein ausdrückliches Privatnutzungsverbot verstößt, riskiert trotzdem seinen Job.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2016)

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