Einen Entlassungsgrund „nachreichen“: Geht das?

Lässt sich eine Entlassung aus einem verpönten Motiv nachträglich sanieren? Die Antwort darauf blieb der OGH schuldig.
Lässt sich eine Entlassung aus einem verpönten Motiv nachträglich sanieren? Die Antwort darauf blieb der OGH schuldig. Die Presse/Clemens Fabry
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Ein Arbeitgeber feuerte seinen Mitarbeiter zu Unrecht, erst im Prozess schob er einen Entlassungsgrund nach. Ob das rechtens ist, ließ der OGH unbeantwortet.

Wien. Wenn einem Mitarbeiter, der fast 22 Jahre lang im selben Unternehmen beschäftigt war und sich bisher nie etwas hat zuschulden kommen lassen, einmal eine verbale Entgleisung passiert, ist das noch kein Entlassungsgrund. Das entschied – wie in der „Presse“ bereits kurz berichtet – der Oberste Gerichtshof (9ObA12/16d).

Es ging um den Prokuristen eines Unternehmens, dem in einem Gespräch mit einem ehemaligen Arbeitskollegen – und jetzigen Angestellten eines wichtigen Kunden – eine abfällige Bemerkung über die Tochter des Chefs und Ko-Geschäftsführerin herausgerutscht war: Er meinte, in der Kombination mit ihr werde das Unternehmen an die Wand gefahren. Mit dieser einmaligen Äußerung habe er sich jedoch noch nicht vertrauensunwürdig gemacht, entschied das Höchstgericht. Und es liege auch keine „Untreue im Dienst“ vor.

Es ging ums Geld

So weit, so gut – und sicher beruhigend für jeden, dem auch schon einmal eine unbedachte Bemerkung über seinen Chef herausgerutscht ist. Trotzdem ist das, worüber der OGH hier entschieden hat, bloß ein Teilaspekt das Falls. Die an sich gravierendere Frage klammerte das Höchstgericht in seiner Entscheidung aus: nämlich, ob der Arbeitgeber diesen Entlassungsgrund überhaupt so hätte geltend machen dürfen. Denn als er die Entlassung aussprach, ahnte er von dem verbalen Ausrutscher noch gar nichts. Gestritten wurde um etwas anderes: um Geld.

Aber von Anfang an: Im Jahr 2009 sagte der Arbeitgeber dem Prokuristen eine jährliche Prämie von 25.000 Euro zu und zahlte sie ihm auch aus, genauso in den beiden Folgejahren. Im Jahr 2012 verweigerte er jedoch die Zahlung. Der Prokurist forderte die Prämie daraufhin ein. Von da an gab es Streit: Im April 2013 wurde der Prokurist vorübergehend dienstfrei gestellt, im Mai verlangte sein Arbeitgeber von ihm die Prämien für 2010 und 2011 zurück – und drohte ihm mit Entlassung, sollte er sie nicht bis Anfang Juni zurückzahlen. Der Prokurist setzte dem Arbeitgeber nun ebenfalls eine Frist für die Prämienzahlung für 2012. Der Arbeitgeber stellte ihn daraufhin wieder dienstfrei, forderte Schlüssel und sonstiges Firmeneigentum zurück. Der Prokurist übergab diese Dinge seinem Anwalt, der versuchte, die Übergabe zu koordinieren. Dennoch kam es zur Entlassung, mit dem Argument, der Mitarbeiter habe das Firmeneigentum nicht rechtzeitig retourniert und die Prämien für 2010 und 2011 nicht rückerstattet.

Der Prokurist zog dagegen vor Gericht. Kurze Zeit später sprach sein Arbeitgeber – für den Fall, dass die Entlassungsanfechtung erfolgreich sein sollte – eine zweite Entlassung aus: Der Mitarbeiter habe nämlich auch Daten gelöscht und mittels einer Software deren Wiederherstellung unmöglich gemacht.

Was diese beiden Entlassungen betrifft, hat der OGH klare Worte gefunden: Sie seien nur deshalb erfolgt, weil der Prokurist von seinem Arbeitgeber die Bezahlung der Prämie für 2012 verlangt habe. Ein anderes Motiv dafür habe es zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben. Rechtlich sei damit alles klar, könnte man meinen: Wenn ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter entlässt, weil er einen Anspruch aus dem Dienstverhältnis geltend macht, ist das kein berechtigter Grund, sondern ein verpöntes Motiv und die Entlassung somit hinfällig.

Verhängnisvolle Zeugenaussage

Genauso entschied auch das Erstgericht. Nur war während des Prozesses Folgendes passiert: Der Exkollege, dem der Prokurist sein Leid geklagt hatte, hatte in dem Prozess als Zeuge ausgesagt und dabei die Äußerung über die Geschäftsführerin erwähnt. Erst dadurch hatte der Arbeitgeber davon erfahren – und prompt Vertrauensunwürdigkeit und Untreue im Dienst als weitere Entlassungsgründe „nachgeschoben“.

Anders als das Erstgericht ließ das Berufungsgericht das gelten und hob das Ersturteil auf. Es ließ jedoch einen Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu – denn es erkannte, dass es hier um eine wesentliche Grundsatzfrage ging, zu der es in Österreich noch keine höchstgerichtliche Entscheidung gibt: nämlich, ob eine Entlassung, die nachgewiesenermaßen aus einem verpönten Motiv erfolgt ist, durch das „Nachschieben“ eines erst später bekannt gewordenen, möglicherweise legitimen Entlassungsgrundes saniert werden kann.

Der OGH ließ diese Frage jedoch offen. Darauf komme es gar nicht mehr an, weil auch der neue Grund nicht für eine Entlassung reicht, meinte er lapidar. Für den Prokuristen ist das im Endeffekt egal – er hat den Prozess gewonnen. Trotzdem sei es schade, dass dieser wesentliche Aspekt nicht durchleuchtet wurde, sagt sein Anwalt, Roland Gerlach. „Wenn ein Arbeitgeber aus einem verpönten Motiv die Beendigung eines Dienstverhältnisses erklärt hat – kann es ihm dann wirklich freistehen, später einen validen Grund nachzuschieben?“ Gerlach bezweifelt das, er meint, ein solcher Fehler sei nicht mehr sanierbar, „der Handlungsunwert bleibt“. Das sei die unter Arbeitsrechtlern vorherrschende Meinung, auch auf europäischer Ebene.

Die Folge wäre, dass ein Arbeitgeber in einem solchen Fall nur eines tun könnte: neuerlich die Auflösung des Dienstverhältnisses auszusprechen, sobald er von einem echten Entlassungsgrund erfährt. Die Beendigung würde dann – so sie diesmal berechtigt ist – erst zu dem späteren Zeitpunkt wirksam.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2016)

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