Die Islamische Glaubensgemeinschaft begrüßt die differenzierte Sichtweise des OGH in seinem Urteil zum Gesichtsschleier. Dass die Klägerin teilweise recht bekam, stößt aber auch auf Kritik.
Wien. Ein Arbeitgeber darf Mitarbeiterinnen muslimischen Glaubens verbieten, am Arbeitsplatz einen Gesichtsschleier zu tragen, entschied kürzlich der OGH (9 ObA 117/15v; „Die Presse“ berichtete). Das ist der erste Spruch des Höchstgerichts zum Thema religiöse Kleidung am Arbeitsplatz.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) zeigt Verständnis für das Urteil: In der Kommunikation spiele die Gesichtsmimik eine wichtige Rolle, sagte die Frauenbeauftragte der IGGiÖ, Carla Amina Baghajati. Gerade in Berufsfeldern, in denen Angestellte ständigen persönlichen Kontakt mit anderen Menschen hätten, könne ein Gesichtsschleier eine Barriere bedeuten. Baghajati begrüßte die differenzierte Sichtweise des OGH: Dieser habe klargestellt, „dass Frauen, die ein Kopftuch tragen, kein Nachteil in der Einstellungspolitik oder im Umgang am Arbeitsplatz erwachsen darf“.
In dem Streitfall ging es um die Kündigung einer Notariatsangestellten, die im Dienst einen Gesichtsschleier tragen wolle. Die Kündigung war laut OGH keine Diskriminierung. Insgesamt legte er das Diskriminierungsverbot aber streng aus: Dass die Mitarbeiterin – die zuvor Kopftuch und Abaya trug – zuletzt nur Klienten mit Migrationshintergrund betreuen durfte, sei diskriminierend gewesen, ebenso einige Äußerungen des Notars („Dauerexperiment ethnischer Kleidung“, „Vermummung“).
Damit sei die Entscheidung „bemerkenswert anders“ ausgefallen, als es sich kürzlich in einem anderen Fall beim Europäischen Gerichtshof abzeichnete, meint Arbeitsrechtsexpertin Katharina Körber-Risak (Kanzlei KSW).
Unternehmerische Freiheit
Dort vertrat Generalanwältin Juliane Kokott in ihrem Schlussantrag die Ansicht, ein Arbeitgeber habe das Recht, sich für eine Politik der strikten religiösen und weltanschaulichen Neutralität zu entscheiden und das Tragen auffälliger religiöser Symbole zu verbieten, wenn es für alle gilt. In diesem Fall ging es um ein Kopftuch – und um ein Unternehmen, das per Betriebsvorschrift das Tragen religiöser und weltanschaulicher Symbole im Dienst generell untersagt hatte. Hat der OGH solchen Betriebsvorschriften nun indirekt eine Absage erteilt? Immerhin betonte er, das Tragen religiöser Kleidung am Arbeitsplatz sei vom Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit umfasst.
Trotzdem müsse eine Policy der Neutralität, die für alle gilt, immer noch möglich sein, meint die Anwältin. Voraussetzung: ein überwiegendes betriebliches Interesse des Arbeitgebers. In Österreich werde das Thema, auch in der Fachliteratur, meist nur von einer Seite betrachtet, kritisiert Körber-Risak: „Es gibt aber auch ein Grundrecht auf unternehmerische Freiheit.“ Anders als der OGH, betonte Kokott in ihrem Schlussantrag auch dieses. Wie der EuGH die dort anhängige Causa entscheiden wird, ist freilich noch offen. (cka/APA)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2016)