Nach dem Brexit könnten Verträge wackeln

Ein charakteristisches Bild: London im Nebel. Ebenso im Nebel liegt die Zukunft der mit Briten abgeschlossenen Verträge.
Ein charakteristisches Bild: London im Nebel. Ebenso im Nebel liegt die Zukunft der mit Briten abgeschlossenen Verträge.(c) REUTERS (STEFAN WERMUTH)
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Ausstiegsszenarien. Wie wird sich der Brexit auf Verträge mit britischen Unternehmen auswirken? Das hängt vom künftigen Rechtsrahmen ab. Im Extremfall ist nicht einmal ausgeschlossen, dass langfristige Vereinbarungen platzen.

Wien. Ist der Brexit, wenn er Realität wird, so etwas wie höhere Gewalt? Diese Frage beschäftigt derzeit Juristen. Und zwar nicht bloß als akademische Spitzfindigkeit: Es geht um Auswirkungen auf Verträge mit britischen Geschäftspartnern oder sonst mit Großbritannienbezug.

Wird die Einhaltung eines Vertrags faktisch unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar, kann höhere Gewalt vorliegen. Ein einseitiger Ausstieg wäre dann legitim. Angenommen, ein österreichisches und ein britisches Unternehmen haben einen langfristigen Liefervertrag abgeschlossen. Da man beim Vertragsabschluss vom gemeinsamen Wirtschaftsraum ausging, hat man bei der Preiskalkulation keine Zölle eingerechnet. Aber dann kommt der Brexit. Zölle werden eingeführt, die Lieferungen verteuern sich gravierend, z. B. um 20 Prozent. „Das wäre wohl ein Grund, über eine Vertragsauflösung zu reden“, sagt Rechtsanwalt Otto Wächter, Partner bei Graf & Pitkowitz.

Jetzt schon nachverhandeln?

In den meisten Verträgen gibt es noch dazu Klauseln, die bestimmte Fälle höherer Gewalt ausdrücklich erwähnen – darunter oft auch „Change of Law“, also eine wesentliche Änderung der Rechtslage. Dann kann man immer noch darüber streiten, ab wann eine Gesetzesänderung so gravierend ist, dass die Vertragseinhaltung dadurch unzumutbar wird. Etwa, um welchen Prozentsatz sich die Kosten erhöhen müssen, damit ein Vertragsausstieg berechtigt erscheint. Aber egal, was am Ende dabei herauskommt und ob der Vertrag wirklich platzt oder doch erfüllt werden muss: So etwas bedeutet jedenfalls Ärger und meist auch wirtschaftliche Nachteile, und zwar für beide Seiten.

„Unter Umständen jetzt schon nachverhandeln, jedenfalls aber nach Einleitung der Austrittsverhandlungen“, rät Wächter deshalb Unternehmen, die langfristige Verträge mit britischen Partnern haben. Bei einem Liefervertrag könnte man zum Beispiel regeln, wie sich zusätzliche Zollbelastungen auf den Kaufpreis auswirken sollen. Oder auch festlegen, bei welchen Szenarien der Vertrag tatsächlich aufgelöst werden soll – dann hätte man immerhin mehr Klarheit. Möglich ist eine nachträgliche Anpassung jedoch nur, wenn beide Vertragspartner damit einverstanden sind. Bei neuen Geschäftsabschlüssen gilt es, von vornherein entsprechende Klauseln in den Vertrag aufzunehmen.

Nicht leichter wird das freilich dadurch, dass noch völlig unklar ist, wie sich die Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien verändern werden. Wächter und seine Teamkollegin Julia Told haben sich intensiv mit verschiedenen Ausstiegsszenarien befasst. Wenig überraschend wären die Auswirkungen am geringsten, sollte Großbritannien künftig zwar nicht mehr EU-Mitglied sein, aber weiterhin zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gehören. Denkbar wäre das, „schließlich hat Großbritannien nur über den Austritt aus der EU abgestimmt“, meint Told. Die Bedingungen wären dann die gleichen wie jetzt für Norwegen, Island und Liechtenstein: Der freie Warenverkehr bliebe weitgehend erhalten, für die meisten Branchen sollte sich wenig ändern. Landwirtschaftliche Erzeugnisse und Fischereiprodukte wären davon jedoch ausgenommen, dort könnte es z. B. Zölle geben. Zudem würde für alle Unternehmen, unabhängig von der Branche, die Abwicklung der Umsatzsteuer komplizierter.

Etwas eingeengt würde auch die Freiheit des Kapitalverkehrs. Aber, so Wächter: „Eine britische Bank könnte weiterhin in Österreich Kredite vergeben.“ Und auch sonstige Bankgeschäfte betreiben, ohne dass sie hier eine Niederlassung oder Tochter braucht.

Problem für Kreditnehmer

Steigt Großbritannien jedoch aus dem gemeinsamen Wirtschaftsraum aus, dürfen Banken mit Sitz in Großbritannien nicht mehr ohne Weiteres in Österreich tätig werden. Für heimische Unternehmen, die einen Kredit bei einer britischen Bank ohne EU-Niederlassung oder -Tochter haben, könnte das zum Problem werden. Im ersten Moment würden sie vielleicht sogar jubeln: Die österreichische Rechtslage sieht vor, dass man jemandem, der ohne Bankkonzession gewerbsmäßig Kredite gibt, keine Zinsen zahlen muss. Die Freude darüber wäre aber wahrscheinlich bald vorbei. Denn für die britische Bank wäre das wohl ein wichtiger Grund, um den Vertrag aufzulösen und den Kredit fällig zu stellen.

Ungeplante Situationen könnten auch durch Rechtswahlklauseln entstehen. Haben sich die Vertragspartner auf britisches Recht geeinigt, gelte das grundsätzlich weiterhin, sagt Told. EU-Verordnungen sind aber im Fall eines Ausscheidens aus der EU (und EWR) nicht mehr automatisch anzuwenden; auch mit der Zuständigkeit des EuGH ist es vorbei. Und selbst bei unionsrechtlichen Regeln, die die Briten in ihre nationale Rechtsordnung übernommen haben, ist der Erhalt des Rechtsbestands nicht gesichert.

Dazu kommt, dass Urteile aus einem EU-Land dann womöglich in Großbritannien nicht mehr vollstreckbar wären – und umgekehrt. Das hängt letztlich davon ab, ob Großbritannien dem Lugano-Übereinkommen beitritt, das die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Urteilen regelt. Derzeit gilt dieses Abkommen zwischen den EU-Ländern, Island, Norwegen und der Schweiz.

Stichwort Schweiz: Vielleicht wird sie ja zum Vorbild für das Szenario nach dem Brexit, und Großbritannien schließt bilaterale Abkommen mit der EU ab. Wie sich das auswirken würde, ist nicht vorhersehbar, es hängt vom Inhalt dieser Verträge ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2016)

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