Der OGH und die Grenzen der Sozialwidrigkeit

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Kann eine Kündigung eines Mitarbeiters, der bereits Anspruch auf Pension hat, sozialwidrig sein? Im konkreten Fall nicht.

Wien. Selten, aber doch gibt es hierzulande Arbeitnehmer, die lieber länger als kürzer arbeiten wollen. Sprich, sie möchten von ihrem bereits erworbenen Pensionsanspruch lieber noch nicht Gebrauch machen. Ob der anhaltende Arbeitseifer des Mitarbeiters auch beim Arbeitgeber auf Begeisterung stößt, ist damit freilich noch nicht gesagt. In folgendem Fall war es definitiv nicht so.

Eine Aktiengesellschaft kündigte ihren damals 63-jährigen Mitarbeiter im Jahr 2014. Er hatte zu diesem Zeitpunkt schon Anspruch auf eine sogenannte Korridorpension, die der Oberste Gerichtshof (OGH) als eine Form der gesetzlichen Alterspension qualifiziert. Die Folgen? Es entspann sich ein langwieriger Rechtsstreit. Dem Arbeitnehmer passte seine Kündigung nämlich ganz und gar nicht, er focht sie wegen Sozialwidrigkeit an.

OGH äußerte sich mehrfach

Grundsätzlich genießen ältere Arbeitnehmer nach dem Gesetz keinen besonderen Kündigungsschutz wie etwa Betriebsratsmitglieder und Eltern in Elternteilzeit. Ihre Kündigung muss also nicht von einem Gericht genehmigt werden, um wirksam zu sein. Ältere Arbeitnehmer haben jedoch einen stärkeren allgemeinen Kündigungsschutz. Sie können eine Kündigung nach dem Arbeitsverfassungsgesetz wegen Sozialwidrigkeit oder wegen Diskriminierung nach dem Gleichbehandlungsgesetz bekämpfen. Bei der Beurteilung, ob Sozialwidrigkeit vorliegt, hat das Gericht insbesondere die lange Betriebszugehörigkeit, die zu erwartende Arbeitslosigkeit und auch mögliche Einkommensverluste zu berücksichtigen. Fällt diese Abwägung überwiegend zu Lasten des Arbeitnehmers aus, kann er mit seiner Anfechtung Erfolg haben.

Doch kann eine Kündigung auch sozialwidrig sein, wenn der Mitarbeiter schon genügend Versicherungsmonate und das notwendige Pensionsalter erreicht hat, um eine gesetzliche Alterspension zu beanspruchen? Dazu hat sich der OGH in der Vergangenheit mehrfach geäußert und klargestellt, dass auch in solchen Fällen der Kündigungsschutz nicht generell auszuschließen sei. Allerdings: Bei der Interessensabwägung müsse ein strengerer Maßstab als sonst an den Tag gelegt werden. Konkret heißt das: Erstens könnten die Einkommenseinbußen, die nun einmal jede Pensionierung mit sich bringt, nicht als sozialwidrig gewertet werden. Zweitens dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Kündigung anlässlich des Erreichens des Pensionsalters für den Arbeitnehmer nichts Unvorhersehbares ist, so der OGH.

Die von der Judikatur des OGH erarbeiteten Grundsätze werden wohl dem 63-Jährigen, jedenfalls aber seinen Anwälte bekannt gewesen sein. Dennoch entschlossen sie sich, die Kündigungsanfechtung durch alle Instanzen durchzupeitschen. Damit hatten sie keinen Erfolg. Jüngst wies der OGH die Revision des Klägers mangels Erheblichkeit der Rechtsfrage zurück.

Erfährt man nähere Details, verwundert die rechtliche Schlappe nicht allzu sehr.

Das Bemerkenswerte an dieser Causa ist nämlich: Der Kläger war schon zehn Jahre lang bei vollen Bezügen von zuletzt 11.948Euro brutto (14-mal jährlich) dienstfrei gestellt. Dass der Arbeitgeber angesichts der Höhe des Salärs des dienstfrei gestellten Mitarbeiters ein starkes Interesse daran haben würde, das Dienstverhältnis zum frühesten für einen Pensionsantritt in Betracht kommenden Zeitpunkt aufzukündigen, kann für den Mann nicht gerade eine Überraschung gewesen sein. Im Gegenteil, so der OGH, er habe seine finanzielle Lebensplanung ausreichend lang auf die Situation einstellen können. Seine Abfertigung von neun Monatsgehältern und eine Urlaubsersatzleistung von weiteren 99.410 Euro dürfte ihm die Planung zusätzlich erleichtert haben.

Der Achte Senat vertrat auch den Standpunkt, der nunmehrige Pensionist könne mit einer monatlichen gesetzlichen Pension und einer laufenden Betriebspension von rund 4500 Euro sowie dem Nettoeinkommen seiner Ehefrau von 1500 Euro seine gehobenen Lebenserhaltungskosten durchaus weiterhin bestreiten. Zumal der Mann weder gesetzlichen Sorgepflichten noch sonstigen Verbindlichkeiten nachzukommen hat. Der Kläger wohnt nämlich in einem unbelasteten, zeitgemäß renovierten Einfamilienhaus. Nebenbei bemerkt gehören ihm noch einige Liegenschaften und – neben der Abfertigung – noch ein Barvermögen von 220.000 Euro. Die Sozialwidrigkeit, die der Kläger vehement und überzeugt behauptet hatte, konnte der OGH weit und breit nicht erspähen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2016)

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