Der Kunde kommt unter den Glassturz

(c) APA; Quelle: PWC; Graphik: "Die Presse"
  • Drucken

Die Finanzmarktrichtlinie MiFID II schreibt Anlegerschutz ganz groß. Für Wertpapierfirmen bedeutet das unzählige neue Verpflichtungen. Viele von ihnen realisieren noch gar nicht, was auf sie zukommt.

Wien. „Einige Unternehmen unterschätzen, welch zusätzliche Compliance-Welle mit der MiFID II da noch auf sie zurollen wird“, sagt Rechtsanwalt Gerhard Dilger (Wolf Theiss Rechtsanwälte). Er spricht von der – äußerst komplexen – Richtlinie über Märkte und Finanzinstrumente, kurz MiFID II, die Wertpapierunternehmen eine Fülle von neuen Pflichten auferlegt. Bis Juli 2017 hat der österreichische Gesetzgeber Zeit, sie ins nationale Recht umzusetzen. Bis dahin müssen Wertpapierunternehmen jedoch schon genau die sogenannten delegierten Rechtsakte der Europäischen Kommission verfolgen, mit deren Hilfe die MiFID II ebenfalls konkretisiert wird.

Eines der MiFID-II-Ziele ist es, Anleger noch intensiver zu schützen, als das schon bisher der Fall war. Daher legt die Richtlinie besonderes Augenmerk auf Anlageberatung und die Dokumentation jedes einzelnen Kontakts mit dem Kunden. So untersagt MiFID II unabhängigen Beratern und Portfoliomanagern etwa, monetäre Vorteile – also Provisionen – anzunehmen. Damit sollen Interessenkonflikte vermieden werden. Von welchem Konflikt ist hier überhaupt die Rede, wird sich so mancher Anleger fragen. „Vielen Kunden ist gar nicht bewusst, dass so mancher Anlageberater hohes Eigeninteresse daran hat, verstärkt jene Produkte zu empfehlen, für die er höhere Provisionen erhält“, sagt Dilger. Eine neutrale Empfehlung jener Anlageformen, die dem Kundeninteresse am meisten entsprechen, ist damit nicht ganz so wahrscheinlich.

Nein zu Provisionen?

Deshalb machten sich auch Konsumentenschützer für ein generelles europaweites Provisionsverbot stark, so wie es manche Staaten in Europa bereits kennen. In Großbritannien dürfen Finanz- und Versicherungsmakler seit Anfang 2013 für die Vermittlung von kapitalbildenden Produkten keine Provision mehr vonseiten der Produktanbieter annehmen. In den Niederlanden ist das nicht anders.

Im April 2016 machte die Kommission jedoch klar, dass es ein absolutes Provisionsverbot nicht geben wird. Jedoch verschärfte sie die Voraussetzungen, unter denen nun Provisionen verlangt werden dürfen. Unterschieden wird nun zwischen „unabhängiger“ und „nicht unabhängiger“ Beratung. „Von Anfang an hat der Berater dem Kunden explizit zu sagen, ob er unabhängig ist oder nicht“, sagt Dilger. Deklariert er sich als unabhängig, darf er von den Produktanbietern keine Provision kassieren, sondern lediglich ein Honorar für seine Beratung vom Kunden verlangen. „Bietet das Wertpapierunternehmen jedoch eine nur eingeschränkte Auswahl von Produkten an, gilt es als nicht unabhängig und darf von Emittenten weiterhin Provisionen erhalten“, sagt Johannes Muschik, Chairman des österreichischen Finanzberaterverbandes Afpa.

Allerdings: Anders als früher muss der Anlageberater darlegen können, dass die Provision auch wirklich dazu dient, die Qualität der Dienstleistung an den Kunden zu heben. Das Wertpapierunternehmen sollte also mindestens einmal im Jahr mit dem Kunden ein Gespräch führen, um herauszufinden, ob die gewählte Anlage für ihn noch immer geeignet ist. Eine andere Variante wäre, dem Kunden immer wieder Dienstleistungen anzubieten, die ihm eine bessere Aufteilung seines Vermögens aufzeigen.

Und noch etwas: „Die Marktteilnehmer müssen ihren Kunden die Zuwendungen, die sie seitens der Emittenten erhalten, detailliert offenlegen“, betont Anwalt Stephan Pachinger (Freshfields).

Doch es gilt noch mehr zu beachten. Pachinger: „Jegliche Art der elektronischen Kommunikation zwischen Wertpapierdienstleistern und Kunden, die Aufträge zum Gegenstand haben könnten, ist aufzuzeichnen und fünf Jahre lang zu speichern – so etwa auch Telefongespräche.“ Ob es tatsächlich zu einem Abschluss kommt, ist irrelevant. Über persönlich geführte Kundengespräche sind ebenfalls genaue Beratungsprotokolle zu führen. Und zwar de facto über jedes Einzelne, sagt Dilger: „Denn letztlich dient wohl jedes Gespräch mit dem Kunden dazu, ein Geschäft abzuschließen.“ Für Wertpapierunternehmen bedeuten die neuen Regularien jedenfalls einen gewaltigen Mehraufwand, der kaum zu bewältigen sei und enorme Kosten verursache, so Dilger.

Hohe Kosten, hoher Zeitdruck

Ganz abgesehen von den vielen Rechtsproblemen, zu denen der Alltag mit Sicherheit führen wird. „Wenn der Anlageberater sein Diensthandy im Büro liegen gelassen hat, deshalb von zu Hause ein Kundengespräch führt und es nicht aufzeichnet, ist das rechtswidrig“, sagt der Experte. Genauso werde es heikel, wenn ein Kunde eine Aufzeichnung des Gesprächs verweigert. „Streng genommen, darf dann keine weitere Beratung erfolgen.“

Doch Kosten hin, Probleme her: Bis 3. Jänner 2018 müssen sich alle Anbieter von Wertpapierdienstleistungen auf die neuen Bestimmungen einstellen. Da kommt MiFID II nämlich zur Anwendung. Übrigens ohnehin um ein Jahr später als ursprünglich vorgesehen. Die Kommission schlug Anfang 2016 die Verschiebung des MiFID-II-Pakets vor. Der Grund? Die technischen Herausforderungen seien für die Marktteilnehmer gewaltig, nur wenige von ihnen wären in der Lage, sie bis 2017 zu bewältigen.

AUF EINEN BLICK

MiFID II. Die Richtlinie der Europäischen Union zur Harmonisierung der Märkte für Finanzinstrumente kommt – um ein Jahr verspätet – ab 3. Jänner 2018 zur Anwendung. Eines ihrer Ziele ist, Anleger noch besser als zuvor zu schützen. Wertpapierunternehmen treffen mit den neuen Regularien eine Menge neuer Pflichten. Viele sind sich noch gar nicht bewusst, welchen Anforderungen sie künftig gerecht werden müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.