Steuerautonomie als Problem statt als Lösung

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Mehr Einnahmen der Länder? Eine Steuerhoheit der Bundesländer könnte zu noch mehr Bürokratie führen und sogar Raumordnungsprobleme verschärfen. Eine Übertragung von Steuerkompetenzen wäre aber politisch irreversibel.

Wien. Seit Langem wird kritisiert, dass die Länder Geld ausgeben, das der Bund einhebt. Durch diese fehlende Übereinstimmung von Einnahmenverantwortung und Ausgabenzuständigkeit sei die Spendierfreudigkeit der Länder zu groß. Nur durch eine Einnahmenverantwortung, das heißt durch eine eigenständige Einhebung von Steuern, würden die Länder dem Druck der Steuerzahler ausgesetzt und dadurch gezwungen, verantwortungsvoller zu agieren.

Wohnbau-Zweckbindung fehlt

Während Finanzminister Schelling in den Finanzausgleichsverhandlungen für eine Steuerautonomie der Bundesländer eingetreten ist, sind die Länder mehrheitlich dagegen gewesen. Das hat im Ergebnis dazu geführt, dass eine Steuerautonomie nur in sehr geringem Umfang vereinbart wurde. Künftig wird der Wohnbauförderungsbeitrag, der bisher ein Prozent der Lohnsumme ausmacht, in die Länderkompetenz übertragen. Skurril ist, dass es weiterhin keine Zweckbindung der Einnahmen (heuer betragen sie knapp eine Milliarde Euro) für den Wohnbau geben wird.

So sehr zu bemängeln ist, dass der Finanzausgleich insgesamt nicht stärker reformiert werden konnte, so sehr muss man allerdings froh sein, dass eine echte Steuerhoheit der Länder nicht spontan umgesetzt wurde. Bei der konkreten Ausgestaltung einer Steuerhoheit sind zwei Extremvarianten denkbar: einerseits die Erhebung bloßer Bagatellsteuern und andererseits eine echte Steuerautonomie in einer budgetär relevanten Größenordnung.

Bagatellsteuern ungeeignet

Bagatellsteuern wie die Grundsteuer werden schon jetzt von den Gemeinden erhoben. Dabei können die Gemeinden die Höhe der Steuer innerhalb einer Bandbreite selbst festlegen. Da die Grundsteuer aber sehr niedrig ist, wird von den meisten Gemeinden der zulässige Höchstbetrag eingehoben. Eine echte Steuerautonomie würde aber voraussetzen, dass die maximal zulässige Höhe so festgelegt ist, dass ein budgetärer Spielraum besteht, diese maximale Höhe nicht voll auszuschöpfen. Bagatellsteuern eignen sich deshalb nicht, um den erhofften Lenkungszweck zu erreichen.

Damit eine Steuerhoheit die gewünschte Wirkung erzielt, müsste die Steuer von den einhebenden Gebietskörperschaften gestaltbar sein, und sie müsste für die betroffenen Bürger und Betriebe wirtschaftlich so spürbar sein, dass diese bei einer zu hohen Steuer einen Anreiz hätten auszuweichen. Nur so würde effektiv Druck auf die politischen Akteure ausgeübt.

Damit könnten aber zahlreiche Probleme verbunden sein, die sich leicht an einem Gedankenexperiment erahnen lassen. Angenommen, die Länder dürften eine Einkommensteuer von bis zu zehn Prozent erheben, im Gegenzug würde die Einkommensteuer des Bundes verringert. Wenn Wien die zehn Prozent ausschöpft, während Niederösterreich angesichts der vielen strukturschwachen Gebiete nur fünf Prozent erhebt, würde es noch attraktiver werden, in den Speckgürtel zu ziehen. Verkehrs- und Wohnungsprobleme würden dort weiter verschärft, in Wien käme es möglicherweise zu einer leichten Entspannung. Würde hingegen Wien eine niedrigere Steuer erheben, dann würde die Wohnungsnot in der Stadt noch größer werden.

Folgen schwer vorhersehbar

Auch Betriebe könnten geneigt sein, in andere Bundesländer umzuziehen, wenn sie dort attraktivere steuerliche Bedingungen vorfinden. Betriebsgebiete könnten ausdünnen, andere müssten vergrößert werden. Noch mehr verbaute Fläche könnte das Ergebnis sein. Dabei ist es nahezu unmöglich, vorab zu prognostizieren, welche konkreten Auswirkungen eine Steuerautonomie hätte.

Voraussichtlich würden die gleichen Probleme auf nationaler Ebene geschaffen, die man im internationalen Steuerwettbewerb derzeit zu lösen versucht. Hinzu kommt, dass neun teils unterschiedliche Steuersysteme zu noch mehr Bürokratie führen würden, sofern man es nicht schafft, einen bundeseinheitlichen Rahmen zu erlassen. Dabei müsste sich der Gestaltungsspielraum der Länder auf den Steuersatz beschränken.

In den USA zeigt die Erfahrung, dass die genannten Probleme keineswegs nur theoretisch auftreten. Dort benötigen Unternehmen, die in mehreren Bundesstaaten tätig sind, umfassende Beratung im Bereich der Ländersteuern. Oft lässt sich der Anteil am Gewinn, der den einzelnen Bundesstaaten zur Besteuerung zuzuweisen ist, nicht nach sachlichen Kriterien, sondern nur im Verhandlungsweg feststellen. Schon wenn ein Unternehmen in einem Bundesstaat die Produktionsstätte und in einem anderen Bundesstaat die Verwaltung hat, wird die Gewinnaufteilung zu einer komplexen Angelegenheit. Man möchte sich gar nicht ausmalen, wie solche Verhandlungen in Österreich ablaufen könnten.

Schweiz vermeidet Dumping

Die Schweiz wird immer wieder als positives Beispiel für eine Steuerautonomie der Bundesländer genannt. Zum Teil gibt es die angeführten Probleme aber auch dort. Dass das Schweizer System dennoch gut funktioniert, ist vielleicht auf die Mentalität der Schweizer zurückzuführen. Außerdem wird oft vergessen, dass es in der Schweiz einen Finanzausgleich gibt, der sich nicht an den Steuereinnahmen, sondern am Ressourcenpotenzial der Kantone bemisst: Kantone mit hoher Wirtschaftskraft müssen in einen Finanzausgleichstopf einzahlen und werden dadurch gebremst, Steuerdumping zu betreiben.

Auch in Österreich ist eine Ausweitung der Steuerhoheit der Länder und Gemeinden nicht von vornherein völlig abzulehnen. Wenn Steuerkompetenzen jedoch einmal an die Länder übertragen sind, dann lässt sich dies realpolitisch nicht mehr rückgängig machen, denn es gibt immer Profiteure, die dagegen opponieren. Die mit einer Steuerautonomie verbundenen Folgen müssen deshalb zuvor gründlich durchdacht werden. Am einfachsten könnte man den Gemeinden bei der Grundsteuer mehr Spielraum einräumen. Aber selbst wenn es dafür einen politischen Konsens geben sollte, ist darin kein Allheilmittel für Budgetprobleme zu sehen. Dazu brauchte es vielmehr eine Bundesstaats- und Aufgabenreform, aber das dürfte eine Utopie sein.


Prof. DDr. Hermann Peyerl, LL.M., ist am Department für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Boku Wien tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2016)

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