Vorsorgekassen: EuGH ortet zu strenge Veranlagungsregeln

Vorsorgekassen EuGH ortet strenge
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Mitarbeitervorsorgekassen dürfen nur beschränkt in Fonds investieren, die nicht in Österreich zugelassen sind. Das ist EU-widrig.

Fast genau zehn Jahre nach Inkrafttreten der „Abfertigung neu“ hat der Gerichtshof der EU (EuGH) entschieden: Die Veranlagungsregeln für die Mitarbeitervorsorgekassen waren zumindest die längste Zeit über zu streng, weil sie die EU-Kapitalverkehrsfreiheit verletzt haben. Seit September 2011 ist die Beschränkung zwar gelockert; was blieb, dürfte aber noch immer gemeinschaftsrechtswidrig sein.

Die Veranlagung und Verwaltung der von den Arbeitgebern zu zahlenden Abfertigungsbeiträge erfolgt seit Einführung der „Abfertigung neu“ im Juli 2002 durch Vorsorgekassen. Diese durften bis zur Novellierung des Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetzes (BMSVG) per 1.September 2011 die Abfertigungsbeiträge nur unter folgender Voraussetzung in Anteilen an nicht in Österreich ansässigen Kapitalanlagefonds weiterveranlagen: Die Fonds mussten (nach dem II. oder III. Abschnitt des Investmentfondsgesetzes 1993) in Österreich zum Vertrieb berechtigt sein. Ein Verstoß gegen diese Beschränkung konnte und kann Vorsorgekassen teuer zu stehen kommen: Sie müssen – freilich nicht zu Lasten des verwalteten Vermögens – Pönalezinsen in Höhe von 5% pro Jahr des entgegen der Veranlagungsgrenze veranlagten Betrages zahlen, und zwar selbst dann, wenn sich die „Fehlveranlagung“ positiv entwickelt hat und den Abfertigungsberechtigten kein Schaden erwuchs.

Die Zulassung ausländischer Kapitalanlagefonds ist aber mit einem großen Aufwand verbunden. Insbesondere sind inländische Kreditinstitute oder inländische Zweigniederlassungen ausländischer Kreditinstitute für die Abwicklung von Zahlungen an die Anleger sowie die Rücknahme von Fondsanteilen zu benennen. Sollen ausländische Fondsanteile zum Vertrieb in Österreich zugelassen werden, die nicht der „OGAW-Richtlinie“ entsprechen (OGAW steht für Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, RL85/611/EWG, nunmehr 2009/65/EG), ist der Aufwand noch größer: Ein inländischer Repräsentant muss bestellt werden, der die ausländische Kapitalanlagegesellschaft gerichtlich und außergerichtlich vertritt, und die Finanzmarktaufsicht muss eine umfangreiche Dokumentation über den Fonds erhalten. Es ist evident, dass sich so manche ausländische Kapitalanlagegesellschaft für den relativ kleinen Vertriebsmarkt Österreich keinem Zulassungsverfahren in Österreich unterziehen will und hier von vornherein von einem Vertrieb absieht.

Im Ausgangsverfahren zur Rechtssache C-39/11 (VBV-Vorsorgekasse AG gegen FMA) hatte die betroffene Vorsorgekasse Abfertigungsbeiträge in einem in Luxemburg ansässigen Fonds veranlagt, dessen Anteile in Österreich nicht zum Vertrieb zugelassen waren. Es handelte sich um einen „nicht harmonisierten“ Fonds („Nicht-OGAW-Fonds“). Die FMA hat der Vorsorgekasse Pönalezinsen in einem sechsstelligen Eurobetrag vorgeschrieben. In dem gegen den Pönalezinsbescheid angestrengten Verfahren hat der Verwaltungsgerichtshof dem EuGH die Frage vorgelegt, ob das Verbot für Vorsorgekassen, in Österreich nicht zum Vertrieb zugelassene Fondsanteile zu erwerben, mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar ist.

Nach dem Urteil des EuGH ist diese Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nicht zu rechtfertigen. Zunächst ist das vorgeschriebene inländische Zulassungsverfahren aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht erforderlich. Denn diese Regelungsziele sind von den Bestimmungen über das Abfertigungssystem überhaupt nicht betroffen.

Auch eine Rechtfertigung der Erwerbsbeschränkung mit dem Argument, dass damit die finanzielle Stabilität des sozialen Systems aufrechterhalten werde, scheitert. Nach Ansicht des EuGH ist die „Abfertigung neu“ kein Teil des Systems der sozialen Sicherheit im Sinne des EU-Rechts.

Schließlich hält der EuGH ein Zulassungsverfahren in Österreich auch nicht aus Gründen des Allgemeininteresses für erforderlich. Dies zunächst deshalb, weil die Tätigkeit der Vorsorgekassen einem strengen Zulassungsverfahren und einer laufenden Aufsicht durch die FMA unterliegen. Außerdem kann die Aufsichtsbehörde auch ohne inländische Vertriebszulassung prüfen, in welchen ausländischen Fondsanteilen die Vorsorgekasse das Vermögen veranlagt.

Seit der Novellierung des BMSVG mit 1.September 2011 sind Vorsorgekassen berechtigt, ausländische Fondsanteile selbst dann zu erwerben, wenn diese nicht in Österreich zum Vertrieb zugelassen sind. Voraussetzung ist aber, dass es sich um Anteile an einem OGAW-Fonds handelt, somit um einen „harmonisierten“ Fonds. Für alle anderen ausländischen Fonds bleibt es beim Erfordernis einer vorherigen inländischen Vertriebszulassung. Vor dem Hintergrund des aktuellen EuGH-Urteils, das die Beschränkung des Kapitalverkehrs durch ein inländisches Zulassungsverfahren auch für Nicht-OGAW-Fonds für unzulässig erklärt, erscheint auch die novellierte Regelung (§30Abs2Z5 BMSVG) dem EU-Recht zu widersprechen.

MMag. Dr. Christoph Leitgeb ist Partner der Doralt Seist Csoklich Rechtsanwalts-Partnerschaft und aufseiten der VBV-Vorsorgekasse AG am Verfahren beteiligt.

Auf einen Blick

Die „Abfertigung neu“ wird durch Arbeitgeberbeiträge gespeist. Diese werden von Mitarbeitervorsorgekassen veranlagt – unter Vorgaben, die der Kapitalverkehrsfreiheit der EU widersprechen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2012)

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