Van Gogh im Kino: Triebkräfte, Triumph und Trost

Leben voller Magie. Trotz all der Tragödie erlebte Van Gogh eine tiefe Naturverbundenheit.
Leben voller Magie. Trotz all der Tragödie erlebte Van Gogh eine tiefe Naturverbundenheit.(c) Filmladen Filmverleih
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Viele Künstlerfilme sind klischeereife Konfektionsware. Eine Ausnahme ist Julian Schnabels aktuelles Van-Gogh-Porträt.

Seit es das Kino gibt, hegen seine größten Verfechter eine Hassliebe zur Malerei. Einerseits sehen sie sich als Enthusiasten eines visuellen Mediums außerstande, die Errungenschaften und ästhetischen Prinzipien der bildenden Kunst zu ignorieren; der wegweisende Filmtheoretiker Béla Balázs schrieb schon 1924 in seinem Aufsatz „Natur und Natürlichkeit“: „Wie die Malerei eben dadurch eine Kunst wird, dass sie die Natur nicht photographisch getreu kopiert, so hat auch der Filmoperateur die paradoxe Aufgabe, mit dem photographischen Apparat Stimmungsbilder zu malen.“ Im Gegenzug regt sich das Bedürfnis, die wesentlichen Eigenschaften des Bewegtbilds abzugrenzen, damit es endlich aus dem Schatten anderer Künste treten kann. „Auf der Leinwand gibt es kein Stillleben“, lautet ein entsprechendes Diktum des französischen Ur-Cinephilen Jean Epstein.

Dieser Zwiespalt besteht nach wie vor – ebenso wie die Praxis, das Naheverhältnis zwischen Film und Malerei hervorzuheben, sobald es um Distinktionsgewinn geht. Der Begriff „Tableaux vivants“, einst ein Werbeslogan für Jahrmarktsattraktionen, impliziert heute besonders erlesene Laufbildgestaltung. Der legendäre Hollywood-Kameramann John Alton nannte sein viel gerühmtes Handwerksbuch „Painting with Light“. Eine der beliebtesten filmanalytischen Video-Serien auf YouTube heißt „Every Frame a Painting“, sprich: Jede Einstellung ein Gemälde. Nicht zuletzt macht sich die Bindung des Kinos an die Malerei in einem Genre bemerkbar, das derzeit einen Boom erlebt – dem Künstlerfilm.

Einfühlsam. Willem Dafoe gibt Van Gogh als hypersensiblen (Alb-)Traumtänzer.
Einfühlsam. Willem Dafoe gibt Van Gogh als hypersensiblen (Alb-)Traumtänzer.(c) Filmladen Filmverleih



Hohe Kunst des Künstlerfilms. Wobei die Pinselschwinger-Biopics, die in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Programmkinoboden schossen, kaum etwas Neues zur Palette ihrer Gattung beitrugen. Oft handelte es sich um abgeschmackte Moritaten, die ebenso gut von Sportlern und Wissenschaftlern erzählen hätten können wie von Malern: Heldenstorys über verkannte Genies und Ermächtigungskämpfer, gestanzt aus altbekannten Schablonen. Umso erfreulicher, wenn ein Film wie Julian Schnabels „Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“ mit diesen Mustern bricht und es wagt, sich in die Wahrnehmungswelt eines begnadeten Bilderfinders einzufühlen: Ein famoser Willem Dafoe gibt den niederländischen Avantgardisten als hypersensiblen (Alb-)Traumtänzer, dessen übersteigerte Empfindungen Bild und Ton verfremden: Nachhallende Gesprächsfetzen, ungewöhnliche Perspektiven. Schnabel kommt selbst von der Malerei und hat bereits ein sehenswertes Kinoporträt des Brooklyner Straßenkünstlers Jean-Michel Basquiat verfertigt. Wie die Filmkritikerin Manohla Dargis treffend bemerkt, zeichnet sich sein neuestes Werk durch etwas aus, was vielen Künstlerfilmen abgeht: Ein Interesse für Kunst an sich, für ihre Triebkräfte, Triumphe und Tröstungen.

Erklärtermaßen ist der Regisseur kein Fan früherer Filme über Van Gogh. Doch jeder von ihnen hat seine Qualitäten, und ihre unterschiedlichen Zugänge zeugen von den Facetten, die talentierte Filmemacher Künstlerfiguren abringen können. Hollywoods Hochkulturdoyen Vincente Minnelli ließ in „Lust for Life“ (1956) die Farbenpracht berühmter Van-Gogh-Gemälde in schönstem Technicolor aufblühen. Robert Altmans „Vincent & Theo“ (1990) interessiert sich eher für das Beziehungsgeplänkel eines ungleichen Brüderpaars. Der Franzose Maurice Pialat schildert in seinem „Van Gogh“-Film (1991) die letzten Wochen des Künstlers mit schonungsloser Nüchternheit, während der gleiche Lebensabend in „Loving Vincent“ (2017) als animiertes Ölgemälde aufersteht.

Systemsprenger oder Seismografen. Die spannendsten Künstlerfilme sehen in ihren Protagonisten stets mehr als Götzen, die der Huldigung harren. Sie interessieren sich für ihren Blick auf die Welt oder für ihre widersprüchliche Ausnahmerolle darin, als Systemsprenger oder Seismografen sozialer Tendenzen. In seinem Fernseh-Dreiteiler „Edvard Munch“ (1974) zeichnet der Brite Peter Watkins den Werdegang des norwegischen Expressionisten als Doku-Drama mit Laiendarstellern nach (inklusive unmöglicher Interviews mit Zeitgenossen), um darzulegen, wie die damalige Gesellschaftslage Munchs Schaffen beeinflusst hat. Tim Burtons „Big Eyes“ (2014) macht die Kitschkonfektionistin Margaret Keane indes zum Brennpunkt einer satirischen Auseinandersetzung mit Fragen von Urheberschaft und Gleichberechtigung in einem chauvinistischen Kunstmarkt.

Einer der renommiertesten Künstlerfilme überhaupt, Andrei Tarkowskis Breitwandepos „Andrej Rubljow“ (1966), spielt im Mittelalter – wird aber oft als Parabel auf die inneren Kämpfe Kulturschaffender in der Sowjetunion interpretiert. Der titelgebende Ikonenmaler sucht darin nach Läuterung und Transzendenz in einer wahnsinnigen Wirklichkeit und findet sie schließlich in der Ekstase des Schöpfungsaktes – am Schluss wechselt der Film wirkungsvoll vom Schwarz-Weißen ins Farbige. Anderswo üben sich Regisseure in Hermeneutik, deuten Biografie und Umfeld einzelner Maler anhand bestimmter Werke, die sie auf der Leinwand zum Leben erwecken, beispielhaft in Carlos Sauras „Goya in Bordeaux“ (1999) oder Peter Greenaways Rembrandt-Krimi „Nightwatching“ (2007).

Solang die schlimmsten Klischees ausgespart bleiben, stört es nicht, wenn ein Künstlerfilm etwas Schwelgerisches annimmt. Mike Leighs „Mr. Turner“ (2014) ehrt die eindrucksvollen Himmelsblicke und Seestücke William Turners, kontrastiert deren Schönheit aber mit dem brummigen, unwirschen Habitus seiner Hauptfigur – eine Glanzrolle für den Charakterdarsteller Timothy Spall. Und „Pirosmani“ (1969), Giorgi Schengelaias Hommage an den georgischen Autodidakten, folgt dessen Stilistik so genau, dass sie zeitweise fast ins Abstrakte rutscht. Am weitesten geht in dieser Hinsicht vielleicht Lech Majewskis „Die Mühle und das Kreuz“ (2011), ein Leinwandspaziergang durch das KHM-Dauerexponat „Die Kreuztragung Christi“ – mit Rutger Hauer als Brueghel. Die Gemeinsamkeit all dieser Filme? Eine aufrichtige Begeisterung für das Œuvre der Gewürdigten.

Tipp

„Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“. Im Original: At Eternity‘s Gate. Film von Julian Schnabel mit Willem Dafoe als Van Gogh. Filmstart am 19. April.

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