Humangenetiker: "Recht auf Nichtwissen"

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Berthold Streubel erforscht am AKH, was das Blut einer Schwangeren über ihr Kind verrät. Eine simple Blutabnahme könnte künftig Fruchtwasseruntersuchungen überflüssig machen. Ein "Presse"-Interview.

Sie forschen an einer Alternative zur invasiven pränatalen Diagnostik (PND). Könnte eine Blutabnahme bei der Schwangeren bald die Fruchtwasseruntersuchungen ersetzen?

Berthold Streubel: Wir sind mitten in einer Studie. Bisher war es so, dass es bei einem auffälligen Ultraschallbefund nur die Möglichkeit gab, in den Bauch der Mutter zu stechen. Das birgt ein Risiko (ein Prozent Fehlgeburten, Anm.). Nun hat man vor einigen Jahren herausgefunden, dass im Blut der Mutter ein wenig freie DNA des Kindes vorhanden ist. Bisher bieten drei US-Firmen Bluttests an, die vor allem nach Trisomie 21 suchen. Daneben fokussieren sich manche auch auf die Chromosomenstörungen Trisomie 13 und 18, bei denen die Kinder nicht lange lebensfähig sind.

Warum ist Trisomie 21, das Down-Syndrom, so zentral?

Erstens weil diese häufig vorkommt. Zweitens weil anders als bei vielen anderen Trisomien die Lebensfähigkeit erhalten bleibt. Drittens ist sie relativ einfach zu testen. Erste Daten großer Studien zeigen, dass die Ergebnisse der Bluttests fast richtig sind.

Was heißt „fast richtig“?

Dass man trotzdem noch manche Fälle verpasst und manche Ergebnisse falsch positiv sind. In unserer Forschung verfolgen wir zwei Ansätze: Einerseits wollen wir die bestehenden Tests verbessern. Sie sind zu ungenau, zu teuer und viel zu langsam. Andererseits wollen wir mehr herausfinden, etwa auch, was die Ursachen für Frühaborte sind. Ziel ist es, alles, was man mit der invasiven PND herausfindet (Anm.: z.B. Gen-Mutationen), auch mit der non-invasiven zu schaffen, und zwar in gleicher Qualität.

Wann wird das Ziel erreicht?

Wir wissen, dass beide Forschungsansätze funktionieren. Derzeit sammeln wir Fallzahlen. Wir hoffen, dass wir mit dem simpleren Test, der alles abdeckt, was man beim invasiven Schnelltest sieht (Trisomie 21, 13, 18 und Geschlecht – letzteres ist relevant für das Turner-Syndrom, das zu Fehlgeburten führten kann), noch heuer fertig werden und dieser dann zur Verfügung stehen könnte. Meiner Einschätzung nach sind die derzeit angebotenen Tests mit einer Trefferquote von 99 Prozent aber noch ein Zwischenschritt zwischen Ultraschall und invasiver PND.

Was heißt das?

Wird beim Ultraschall etwas entdeckt, hätte die Frau die Wahl, ob sie gleich den invasiven Test macht oder erst den non-invasiven. Letzterer hat kein Risiko, aber sie muss länger auf das Ergebnis warten (Anm.: Dafür kann er in der sechsten statt in der üblichen elften Woche durchgeführt werden). Und ein unauffälliges Ergebnis beim Bluttest ist kein Blankoscheck für ein gesundes Kind. Aus derzeitiger Sicht verkompliziert der Test die Situation für werdende Eltern eher.

Aber wenn der Bluttest einmal so sicher und umfassend wie die invasive PND wird und die Kosten sinken, könnte er zur Standarduntersuchung bei Schwangeren werden?

Möglich.

Manche fürchten, dass durch die Möglichkeit, mehr zu wissen, der Druck auf Eltern steigt, das auch zu tun. Und dass es in Folge zu mehr Abtreibungen kommt.

Das sehe ich nicht so. Mein Ziel ist ja nicht, alle Trisomie-21-Kinder zu erfassen. Ein Paar hat immer ein Recht auf Nichtwissen. Und wenn sie es wissen wollen, bekommen sie schon jetzt beim Ultraschall ein relativ sicheres Ergebnis hinsichtlich Trisomie 21, 13 und 18. Die Hemmschwelle für eine Blutabnahme mit langer Wartezeit ist wohl höher als jene, sich einen Ultraschallkopf auf den Bauch setzen zu lassen.

Aber mit dem Bluttest könnte man künftig mehr sehen als mit dem Ultraschall.

Wir machen es nur für die, die berechtigt fragen. Prinzipiell wird alles, was man invasiv schafft, langfristig auch non-invasiv gehen. Gebrauch und Missbrauch ist insofern Tür und Tor geöffnet. Schon jetzt können wir mit dem Bluttest das Geschlecht herausfinden. Aber deshalb ist die Technik ja nicht böse.

In Österreich könnte bei künstlich befruchteten Embryos bald die Präimplantationsdiagnostik (PID) erlaubt werden. Eltern, die ein Risiko für eine schwere Krankheit in sich tragen, könnten dann den Embryo vor dem Einsetzen in die Gebärmutter untersuchen lassen. Einige glauben, dass der Bluttest an der schwangeren Mutter die PID ersetzen könnte.

Glaube ich nicht. Für Paare ist es eine enorme Belastung, schwanger zu werden und wieder abzubrechen.

Was ist mit jenen, die das konkrete Risiko vorher nicht wissen und ihr Kind einfach auf alle Risiken „durchchecken“ lassen wollen?

Es gibt zwei Wege. Eltern können sich vor einer Schwangerschaft auf Risiken testen lassen, die sie als Paar zusammen haben. In der PND kann man dann gezielt nachschauen. Der andere Weg wäre, den Fötus auf Krankheiten hin genetisch zu sequenzieren. Das ist machbar, wäre invasiv aber viel leichter als non-invasiv. Aber natürlich ist dieser Weg problematisch.

Weil?

Das Kind hat ein Recht auf Nichtwissen. Eltern dürfen auch bereits geborene Kinder nicht auf Krankheiten sequenzieren lassen, die erst im Erwachsenalter ausbrechen. Außerdem kommt bei einer Genom-Sequenzierung eine Fülle von Informationen heraus. Die Gefahr ist groß, dass ich das Paar total überfordere. Da wird von Krankheiten geredet, von denen sie noch nie gehört haben. Auch derjenige, der den Befund erstellt, ist überfordert. Denn wie filtere ich die wichtigen von den unwichtigen Informationen, vor dem Hintergrund, dass die Eltern eine Garantie wollen? Das kann dazu führen, dass Eltern ein Kind, das eigentlich gesund ist, nicht austragen wollen.

Wie zufrieden sind Sie mit der öffentlichen Debatte zu Humangenetik und Bioethik?

Ich bin sehr unglücklich. Es kommt mir sehr emotionalisiert vor, der Hauptteil unserer Arbeit, etwa in der Krebsforschung, wird gar nicht wahrgenommen. Auch die vielen schweren Schicksale gehen unter, diese Menschen gehen ja üblicherweise nicht an die Öffentlichkeit.

Der GenForscher

Berthold Streubelist Humangenetiker und wurde 2010 auf die neu geschaffene Professur für Zytogenetik an der Med-Uni Wien berufen. Seit 2010 leitet er auch das Forschungsprojekt zur non-invasiven Pränataldiagnostik am Wiener AKH.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2012)

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