„Die Zelle ist etwas verblödet, arbeitet aber für das Virus weiter“

Molekulare Medizin. Wiener Forscher um Giulio Superti-Furga verglichen die Angriffsstrategien von 30 Viren. Ein Ergebnis: Diese greifen häufig jene Proteine an, die mit der Kopplung und Kommunikation der Prozesse in der Zelle zu tun haben. So können sie diese für sich arbeiten lassen.

Wie immer Viren aussehen, autark sind sie ganz und gar nicht. Sie sind von Zellen anderer Lebewesen existenziell abhängig – und darum so gefährlich: Sie dringen in die Zellen ein und missbrauchen sie für ihre Zwecke, das ist letztlich die Vermehrung ihrer Erbsubstanz, sei diese jetzt DNA oder RNA.

Denn es gibt DNA-Viren und RNA-Viren, es gibt doppelsträngige und einzelsträngige Viren, es gibt solche mit Hülle und solche ohne Hülle. All diese Varianten unterscheiden sich natürlich in ihrer Strategie. Doch sie haben auch manches gemeinsam. Aber was? Um das zu ergründen, untersuchten Forscher um Giulio Superti-Furga am Wiener Forschungszentrum für Molekulare Medizin 30 Viren in ihrer Wechselwirkung mit Proteinen menschlicher Zellen, vom Fieberblasen bescherenden Herpes simplex über das Masernvirus bis zu Rotaviren, die Menschen und Tiere mit Durchfall plagen. Die Arbeit erscheint in Nature (online 19.7.)

„Wir wollten verstehen“, erklärt Superti-Furga, „was die Angriffspunkte und was die Schwachpunkte sind. Wir haben sozusagen einen vergleichenden ,Security-Check‘ für alle möglichen Einbrecher gemacht.“

„Verletzliche Knoten im Abwehrsystem“

Dabei gab es Überraschungen. So erwies sich, dass ein RNA-bindendes Protein (hnRNP-U), von dem man wusste, dass es von HIV angegriffen wird, auch Ziel anderer Viren ist, etwa des Grippe-, des Herpes- und des Hepatitis-C-Virus. Eigentlich verständlich: All diese Viren wollen hnRNP-U unschädlich machen, es spielt in der angeborenen Immunabwehr der Zelle eine Rolle. Und diese ist der logische Angriffspunkt für jedes Virus, das nach „verletzlichen Knoten im Abwehrsystem des Wirts“ sucht, wie es die Forscher in Nature formulieren.

„Viel häufiger, als wir glaubten“, erzählt Superti-Furga, „greifen die Viren solche Proteine an, die zur Kopplung und Kommunikation dienen. Damit schaffen sie es, die verschiedenen Produktionsvorgänge der Zelle zu entkoppeln, und können diese einzeln für sich nutzbar machen. Es ist wie eine Bande, die eine Autofirma unter Kontrolle bringt, um in deren Halle nur mehr die Einzelteile zu produzieren: Reifen, Karosserie, Motor – aber keine ganzen Autos mehr.“

Durch diese Störung der Kommunikation erreichen die Viren auch, dass ihr molekulares Treiben von der Zelle schwerer bemerkt und bekämpft wird. „Die Zelle ist ein bisschen verblödet, arbeitet aber für das Virus weiter“, sagt Superti-Furga: „Es ist ähnlich wie bei Putschisten: Die besetzen schnell die Kommunikationsstrukturen im Land.“

Von etlichen Viren angegriffen wird auch das Protein USP19, das in der Qualitätskontrolle von Proteinen beschäftigt ist: Es überprüft, ob diese richtig gefaltet sind. Wenn das Virus diese Qualitätskontrolle ausschaltet, dann produziert die Zelle mehr Proteine – und das Virus ist nicht so heikel, was die Qualität angeht.

Manche Viren haben freilich auch ganz spezifische Strategien entwickelt. So übernimmt das Hepatitis-C-Virus die Kontrolle über den Abbau von zellulären Proteinen: eine durchaus feindliche Übernahme. Wer diese stören könnte, würde das Hepatitis-Virus wohl empfindlich stören. So könnten die Ergebnisse der Studie wertvoll für die Entwicklung antiviraler Therapien sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2012)

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