Schwarm: Gemeinsam stark, gemeinsam clever

Schwarm Gemeinsam stark gemeinsam
Schwarm Gemeinsam stark gemeinsam(c) AP (LAURENT GILLIERON)
  • Drucken

Bienen, Ameisen, Fische und Vögel leisten als Schwarm Erstaunliches: Nun sollen auch Roboter die Intelligenz der Masse lernen. Das wird zu völlig neuen technischen Lösungen führen.

Schwarmintelligenz: Das fehlt Menschen leider manchmal. Einer macht einen Blödsinn vor, und viele machen es nach. Vielleicht sollten wir uns die Tiere als Vorbild nehmen, die in der Masse oft schlauer sind als das einzelne Individuum: Bienen wählen als Schwarm das geeignetste neue Zuhause und die energiereichsten Nektarquellen. Ameisen finden durch Duftspuren am Boden den kürzesten Weg zu Futterquellen, Fischschwärme entkommen Fressfeinden effizienter als Einzeltiere und sogar einzellige Schleimpilze arbeiten im Kollektiv besser als allein.

An der Uni Graz hat sich die Gruppe um Thomas Schmickl im „Artificial Life Laboratory“ darauf spezialisiert, von Schwarmtieren Verhaltensmuster abzuschauen und diese für die Technik nutzbar zu machen. „Bei Schwärmen gibt es keinen Chef, der den restlichen Mitgliedern sagt, was zu tun ist“, erklärt Ronald Thenius, Forscher in dem Labor.


Funktioniert ohne Chef. „Bisher werden Maschinen so entwickelt, dass ein übergeordnetes Programm kontrolliert, ob alle Einzelteile das Richtige tun. Wenn man aus einem Auto ein Kabel entfernt, funktioniert es nicht mehr.“ Auch für eine Gruppe von Maschinen muss es einen Chef geben, der plant, wann welche Maschine wo sein muss. Fällt eine Maschine aus, muss er (oder die Chefin) überlegen, wie man die restlichen Maschinen neu einteilt, damit der Ablauf funktioniert. Die Zukunftsvision ist, dass es gar keiner Chefs mehr bedarf: Denn Tierschwärme funktionieren auch ohne jemanden, der sagt, wer was zu tun hat. Jedes Individuum folgt einfachen Verhaltensregeln, kommuniziert nur mit den direkten Nachbarn und reagiert auf Eindrücke aus der Umgebung.

„Dies ist eine dezentrale Organisation, auch Selbstorganisation genannt“, sagt Thenius. Biologen wie er arbeiten eng mit Ingenieuren zusammen, um Verhaltensweisen von Schwarmtieren auf Maschinen bzw. Roboter zu übertragen: „Wir wollen einen Haufen kleiner, gleichwertiger Einheiten entwickeln, die herumwuseln wie Bienen, Ameisen oder Fische, und ihr kleines Repertoire an Befehlen ausführen, um als Schwarm resistent gegen Ausfälle und Schäden zu sein.“


Das Wissen der Insekten.
Berühmt ist etwa der „Ameisenalgorithmus“, der in der Logistik das „Problem des Handlungsreisenden“ sehr gut löst: Dabei muss eine Anzahl von Orten durch die kürzestmögliche Strecke verbunden werden. Das klingt einfach, doch selbst leistungsstarke Computer scheitern an der Rechenaufgabe, wenn das abzuklappernde Netzwerk aus „Haltestellen“ zu komplex wird. Der Ameisenalgorithmus (entwickelt vom Italiener Marco Dorigo) nutzt das Wissen der kleinen Insekten, um Busrouten und Müllabfuhrwege zu erstellen oder die schnellste freie Strecke im Telefonnetzwerk zu finden.

Auch das Grazer Team hat von Ameisen gelernt und 2009 weltweit erstmals die Duftspuren-Straßen von Ameisen mit Minirobotern nachgebildet: Jeder Schwarmroboter hinterlässt am Boden eine fluoreszierende Spur, die umso stärker leuchtet, je mehr den Weg schon benutzt haben.

Durch einfache Lichtsensoren orientiert sich die Roboter-Herde so, dass schnell der kürzeste Weg gefunden wird. „Der kreativste und schwierigste Teil unserer Arbeit ist, die beobachteten Verhaltensmuster der Tiere auf die Roboter zu übertragen: Dazu machen wir reale Experimente mit kleinen Robotern, aber auch unzählige Simulationen am Computer“, sagt Thenius.


Roboter beobachten. Nach erfolgreicher Programmierung beobachten die Biologen dann zur Abwechslung Maschinen statt Tiere: „Wenn die Roboter es schaffen, die Aufgabe zu lösen, wissen wir, dass der Verhaltensmechanismus voll und ganz verstanden ist. Spannender ist es, wenn die Roboter scheitern: Dann haben wir bei den Bienen, Ameisen oder Vögeln ein feines Detail übersehen und müssen noch genauer hinsehen“, erzählt Thenius. Der jüngste Erfolg, bei dem die Grazer Forscher das tierische Verhalten vollständig nachbauen konnten, heißt „Beeclust“. Dieser Algorithmus, der in der Logistik und Computertechnologie Einsatz finden kann, ahmt das Verhalten von frisch geschlüpften Bienen nach: Im stockdunklen Nest müssen junge Bienen, denen noch die Fähigkeit zur Regelung ihrer Körpertemperatur fehlt, den Platz mit jener Temperatur finden, bei der sie sich am besten entwickeln können, nämlich circa 36 Grad Celsius. Über ihre Antennen messen die Bienen die Temperatur, doch eine einzelne Biene schafft es nicht, den perfekten Ort zu finden.


Einfache Verhaltensregeln. Setzt man zig Bienen zugleich in die Versuchsarena, rotten sich nach wenigen Minuten alle Tierchen an der Stelle zusammen, die 36 Grad Celsius warm ist. Die Verhaltensregel ist einfach: „Wenn du auf eine andere junge Biene triffst, messe die Umgebungstemperatur. Je näher die Temperatur am Optimum liegt, umso länger verweilst du dort.“

In einem FWF-Projekt, das bis Ende 2011 lief, bauten die Grazer diese Verhaltensregel in kleine Roboter („e-pucks“) ein, die 200 Gramm wiegen und etwa handtellergroß sind. „Welche Umweltbedingungen diese Roboter messen, ist egal: Sie können Temperatur, Licht oder Giftkonzentrationen messen“, sagt Thenius.

Jedenfalls finden die Roboter als Schwarm schnell den Ort mit der höchsten Lichtintensität, Giftkonzentration etc., wenn sie bei einem Treffen mit einem Roboterkollegen die Umgebung analysieren und am längsten dort verweilen, wo der gesuchte Parameter am besten ist. In Simulationen gelang es auch einem Schwarm von Mini-U-Booten, schnell die tiefste Stelle eines Aquariums zu finden. „Damit könnte man Giftdeponien im Meer finden“, sagt Thenius.

Chemische Substanzen verteilen sich wie eine Wolke im Wasser, der Ursprungsort ist für einzelne Messsysteme schwer auszumachen. Doch ein Schwarm von U-Boot-Robotern kann dem Algorithmus folgend in der diffusen Giftwolke die höchste Giftkonzentration finden und dort ein Signal absetzen. Dann könnten Rettungsmannschaften die illegalen Giftfässer am Meeresgrund sichern.


Autonom unter Wasser. Ein aktuelles EU-Projekt, an dem das Grazer Team beteiligt ist, konzentriert sich auch auf das Meer: In CoCoRo (Collective Cognitive Robots, Projektleiter Thomas Schmickl) sollen „autonome Unterwasser-Vehikel“ (AUV) entwickelt werden, um ökologisches Monitoring durchzuführen und Such- und Sammelaufgaben zu erledigen.

„Der Plan ist, dass lauter kleine Einheiten durchs Meer treiben oder schwimmen, die z.B. beobachten, wo eine Massenvermehrung von Quallen auftritt“, sagt Thenius. So sind etwa in der japanischen See Massenphänomeme von Quallen ein großes Problem: Sie können die lokale Fischerei völlig zum Erliegen bringen.

Die Roboter sollen circa alle 100 Meter im Meer eingesetzt werden: Als Schwarm überwachen sie dann riesige Flächen, indem sie mit ihren Nachbarrobotern kommunizieren. Die einzelnen Roboter brauchen weder GPS oder Funk, es reicht Infrarot oder Ähnliches. „Dieser große Messfühler, der sehr resistent gegen Störungen ist, da es wenig macht, wenn ein Teil ausfällt, kann warnen, wo Massenvermehrungen der Quallen starten“, sagt Thenius.


Roboter steuern Tiere? Eine noch weiter entfernte Zukunftsvision ist, dass die Roboter sogar direkt eingreifen und selbst organisiert den Schaden, den Quallen und ähnliche Phänomene anrichten, verhindern können.

Ähnlich wie ein Science-Fiction-Drehbuch klingt auch die Vision der EU-Projekte „Symbrion“ und „Replicator“: „Viele kleine Roboter können sich zu einem großen zusammenschließen, der sich nach eigenem Ermessen an die äußeren Bedingungen anpassen kann“, so Thenius. Stößt das Gerät auf ein Hindernis, kann es seine Beine verlängern, indem kleine Roboter vom Rumpf zu den Beinen wandern. Oder wenn ein Gelenk eines Beins kaputt ist, dann wird diese Einheit an einer anderen Stelle eingesetzt, wo sie nur statisch dienen soll – während funktionierende Gelenk-Einheiten in das „kaputte Knie“ wandern.


Wie Körperzellen. „Selbst reassemblierende Maschine“ heißt diese Zukunftsvision, die von der EU mit mehreren Millionen Euro gefördert wird. „Wir Biologen liefern die Mechanismen solcher selbst organisierten Systeme wieder durch Beobachtung der Natur bzw. des menschlichen Körpers. Auch in uns gibt es keine Chef-Zelle, die allen anderen Befehle erteilt“, so Thenius.

Jede Zelle hat nur eine beschränkte Kapazität und kommuniziert mit ihrer Umgebung, insgesamt leisten alle Zellen als Körper aber Erstaunliches. Die Mechanismen von Hormonsystemen, Immunsystem und Gehirnzellen sollen nun als Basis für Computerprogramme dienen, die kleine Robotereinheiten zu selbst organisierten „cleveren“ Gebilden machen.

„Für die Robotik ist es nicht wichtig, wie hoch entwickelt die Organismen sind, von denen man sich Verhaltensmuster abschaut“, sagt Thenius. „Ein sehr einfacher Algorithmus stammt aus der Beobachtung von Vögeln: Die sitzen alle im gleichen Abstand, da sie einfach näher rücken, wenn der andere zu weit weg ist, und wegrücken, wenn der andere zu nahe kommt. Das ließ sich sehr einfach in Roboter implementieren.“

Jedoch kann man von primitiven Mikroben oder auch Schleimpilzen sehr komplexes Bewegungsverhalten lernen und so neue Lösungen für Verkehrsnetze in Städten entwickeln. Denn „Schwarmintelligenz“ hat eben wenig mit der Intelligenz des Einzelnen zu tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.