Forschung: Ab durch die Zellmembran

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Das ÖAW-Institut für Biophysik und Nanosystemforschung wurde in drei Gruppen geteilt und an TU, Med-Uni und Uni Graz angebunden. Die Forschungen gehen dort weiter.

Das „Super-Antibiotikum“ machte das Institut für Biophysik und Nanosystemforschung (IBN) im Vorjahr berühmt: Hier wurde ein Wirkstoff entwickelt, der die Zellwand von Bakterien durchlöchert, also Bakterien schnell tötet, ohne dass sie eine Resistenz entwickeln können. Diese Woche war ein weiterer Meilenstein im Leben der rund 30 Forscher, die am IBN am Grazer Stadtrand arbeiten: Das Institut, das seit 1968 existiert (damals auf Röntgenforschung spezialisiert), wird ab Oktober nicht mehr von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) getragen, sondern teilt sich nun auf drei Universitäten in Graz auf (TU, Med-Uni und Uni Graz).

Dies geschah im Rahmen der Reorganisation der ÖAW, die auf einer Leistungsvereinbarung mit dem Wissenschaftsministerium beruht: Der Bund stellt der ÖAW von 2012 bis 2014 ein Budget von rund 224 Millionen Euro zur Verfügung. Die entstandene Budgetlücke von 40 Mio. Euro wird gestopft, indem einzelne ÖAW-Institute an Universitäten angegliedert werden. So behalten die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz, können alle Projekte fortführen und das generierte Wissen weiterhin der Welt zur Verfügung stellen (siehe auch Artikel rechts).


Hammer-Wirkung.
Die Gruppe um den ehemaligen IBN-Direktor Karl Lohner, die mit dem Super-Antibiotikum für Aufsehen sorgte, wandert an die Karl-Franzens-Universität Graz (Institut für Molekulare Biowissenschaften). „Unsere Forschung konzentriert sich auf Zellmembranen: Die Hülle, die Zellen umgibt, macht Leben erst möglich, da sie das Innere vom Äußeren trennt“, berichtet Lohner. Viele Krankheiten haben mit Prozessen an der Zellmembran zu tun. Genau das treibt die Forscher an: Die Hoffnung, Störungen besser erkennbar und behandelbar zu machen. „Wir suchen Ansätze, die gegen das große Problem der Antibiotika-Resistenzen ankämpfen und die damit verbundene Sepsis (umgangssprachlich: Blutvergiftung; Anm.) verhindern. Auch an Krebs und Atherosklerose wird geforscht“, sagt Lohner.

Zellmembranen sind aus zwei Schichten von Fettmolekülen aufgebaut und regeln u.a. den Austausch von Stoffen zwischen dem Zellinneren und Blut, Lymphe etc. „Veränderungen in den physikalischen Eigenschaften der Zellmembran können ihre Funktion beeinflussen“, so Lohner. Georg Pabst in seinem Team entdeckte z.B., dass Anästhetika, die seit 100 Jahren erfolgreich eingesetzt werden (ohne dass man wusste, wie sie molekular wirken), sich an ganz bestimmten Stellen in die Membranen einbauen und so die Signalübertragung zwischen Nervenzellen hemmen.

Bei der Entwicklung des Super-Antibiotikums diente übrigens Lactoferrin, ein Protein aus der Muttermilch, als Vorbild: „Wir haben einen uralten Abwehrmechanismus nachgebaut.“ Die antibakterielle Wirkung von Muttermilch rührt daher, dass Lactoferrin in die Zellwand von Bakterien kleine Löcher schlägt. Im Labor synthetisierte das Team kleine Eiweißmoleküle, die ebenfalls in Bakterienwände „Löcher hämmern“. Das ist der große Unterschied zu herkömmlichen Antibiotika: Diese docken an den Bakterien mit einem „Schlüssel“ an, der in das „Schloss“ der Bakterienrezeptoren passen muss. Bakterien können aber durch Mutation das Schloss schnell ändern. „Das neue Antibiotikum braucht kein Schloss, da es die Membran mechanisch zerstört“, schwärmt Lohner.

Die Entwicklung der neuen Medikamente führt sein Team in der Spin-off-Firma pba3 weiter. „Die weitere Forschung an ähnlichen Wirkstoffen geschieht nun an der Uni Graz“, so Lohner. Das Tolle an der Wirkweise ist, dass nicht nur Bakterien zerstört werden, sondern auch Giftstoffe (Endotoxine) der Bakterien gebunden werden. Das verhindert die tödliche Sepsis, an der in den USA jährlich 200.000 Menschen sterben. Auch in Biofilme, die an Implantaten zu chronischen Entzündungen führen können und bisher für Antibiotika schwer zugänglich waren, dringen die neuen Wirkstoffe ein.

Auch Dagmar Zweytick forscht nun an der Uni Graz: Sie konzentriert sich auf die Oberfläche von Krebszellen, um zu erkennen, welche Wirkstoffe dort effizient andocken können. Und zwar genau an den Krebszellen und keinen anderen: Das ermöglicht die Entwicklung neuer Chemotherapeutika mit weniger Nebenwirkungen. „Die Umsetzung des Ansatzes für neue Therapien soll im Mausmodell getestet werden. Wir konzentrieren uns vorerst auf Hautkrebs, da die Wirkstoffe hier oberflächlich verabreicht werden können und so leichter ihr Ziel erreichen“, erklärt Lohner.


Gezielt zum Wirkort. Seine IBN-Kollegin Ruth Prassl nahm ihr Team nun mit an die Medizinische Uni Graz, wo die zehn Mitarbeiter ab Oktober zum Institut für Biophysik gehören. Sie freut sich, dass durch die Anbindung die frisch gebildete Forschungskooperation „BioTechMed“ in Graz verstärkt wird, die den steirischen Life-Science-Sektor international noch sichtbarer machen soll. Prassls Team widmet sich der personalisierten Medizin und entwickelt „Wirkstoffträger“: also Nanosysteme, die Medikamente gezielter und besser an den Patienten angepasst zum Wirkort bringen. Auch das erhöht die Effizienz und verringert Nebenwirkungen. Derzeit geht es um die Früherkennung von Artherosklerose und um die Behandlung von Fettleibigkeit und Diabetes – die drei Erkrankungen hängen meist zusammen.

Bei der Strukturaufklärung eines natürlichen Nanopartikels ist Prassls Gruppe Weltspitze: Keiner kennt die Struktur des „bösen“ Cholesterinträgers LDL im menschlichen Blut so gut wie sie. Dieses und ähnliche natürliche Nanopartikel dienen als Vorbild für synthetische Trägersysteme von Arzneien. So wird etwa in Zusammenarbeit mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Lungengefäßforschung in Graz nach Trägern gesucht, die Wirkstoffe per Inhalator direkt beim Einatmen in die Lunge bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2012)

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