Mütter haben ihr Leben lang ihre Söhne im Kopf

Mutter und Kind
Mutter und KindAP Photo/Corpus Christi Caller-Times, Michael Zamora
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In Gehirnen von Müttern findet sich DNA der Kinder, die sie ausgetragen haben. Wie das geht und wozu es dient, ist unklar. Frauen mit mehr DNA ihrer Kinder im Gehirn hatten ein geringeres Alzheimer-Risiko.

Wenn eine Schwangere eine Herzattacke erleidet, eilt ihr ihr Embryo zu Hilfe: Er schickt Stammzellen, die an der verletzten Herzregion neue Zellen bilden. Das ist nicht selbstlos – der Embryo überlebt nur, wenn die Mutter überlebt –, aber wie das zugeht, ist wenig klar, schließlich müssen die Zellen durch die Plazenta. Aber sie schaffen es, nicht nur zum Herzen, man hat sie auch schon in anderen Organen gefunden, in der Lunge und in der Niere – überall sind Mütter Mischwesen, „Mikrochimären“ – und im Blut, dort sind sie vermutlich, damit das mütterliche Immunsystem sich an sie gewöhnt und den Embryo nicht attackiert.

Mit dem Blut kommen sie auch zum Gehirn, aber das ist mit der Blut/Hirnschranke vor Eindringlingen noch viel besser geschützt als der Embryo mit seiner Plazenta. Trotzdem kommen die Zellen – vorsichtiger: ihre DNA – hindurch. Das wusste man schon von Mäusen, und nun hat Lee Nelson (Fred Hutchinson Cancer Research Center) sie auch in Gehirnen von Frauen gefunden, die eines natürlichen Todes gestorben waren, die jüngste mit 70, die älteste mit 92. Und in diesem Alter hatte sie immer noch – wie 63 Prozent der analysierten Frauen – ihren Sohn im Kopf, ganz im Wortsinn (PLoS One, 26.9.). Mit der Tochter wird es nicht anders sein, aber Nelson hat sich der Einfachheit halber auf Söhne konzentriert, weil das männliche Y-Chromosom im weiblichen Gehirn leicht zu identifizieren ist.

Was tut diese DNA? Bei Mäusen ist sie aktiv – dort wandern auch ganze Zellen ins Gehirn –, bei Menschen weiß man es nicht. Aber Hutchinson hatte den Verdacht, dass die Fremdkörper Schaden anrichten, konkret: Alzheimer: Das Risiko, daran zu erkranken, steigt bei Frauen mit der Zahl der Kinder. Aber der Befund zeigte das Gegenteil: Die Frauen mit mehr DNA ihrer Kinder im Gehirn hatten ein geringeres Alzheimer-Risiko. Schützen also Embryos ihre Mütter? Bei Alzheimer hätten sie keinen Grund, die Alterskrankheit bedroht sie nicht. jl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2012)

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