Medizin: Wiederkehr der Würmer im Dienste der Darmgesundheit

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Autoimmunkrankheiten dringen vor, weil Medikamente und Hygiene die Körperabwehr zu stark entlasteten. Nun soll sie wieder zu tun bekommen.

Seit es Menschen gibt, haben sie mit unerwünschten Gästen zu schaffen, von Bakterien bis zu Würmern. Diese bekommen es mit der Immunabwehr zu tun, und sie haben unterschiedliche Gegenstrategien entwickelt: Bakterien weichen aus, machen sich durch Mutationen unangreifbar, sie können das, weil sie sich rasch reproduzieren (und Resistenzgene untereinander tauschen). Würmer brauchen länger, sie reagieren anders, machen sich das Immunsystem untertan, dämpfen und schwächen es.

Damit haben sie über den größten Teil der Menschheitsgeschichte so bösen Schaden angerichtet wie die Bakterien auch, erst seit zwei Generationen können sie erfolgreich abgewehrt werden, die einen mit Antibiotika, die anderen mit Hygiene. Beides wirkte – vor noch nicht langer Zeit starb jedes fünfte Kind an Bakterien und Würmern –, aber im Gegenzug kamen andere Krankheiten, Allergien, Asthma etc., überschießende Reaktionen des Immunsystems, das sich gegen den eigenen Körper wendet. War das wirklich ein Gegenzug, hat das eine mit dem anderen zu tun? Man vermutet es seit 1989, damals wurde die „Hygienehypothese“ formuliert, für Bakterien: Ärzten war aufgefallen, dass es in kinderreichen Familien, in denen unentwegt Krankheitserreger grassieren, kaum Autoimmunkrankheiten gibt.

Später zeigte sich das Gleiche in großem Maßstab: Autoimmunleiden sind Probleme der Reichen und der Städte, bei den Armen und auf dem Land kommen Kinder früh mit Erregern in Kontakt, ihr Immunsystem übt sich ein und hat zu tun, das der anderen ist unterbeschäftigt und wendet sich gegen den Körper. Bei Würmern ist es ähnlich, man merkte es in den 1980ern in Venezuela – fast alle Indianer im Wald waren befallen, hatten aber keine Allergien, in den Städten war es umgekehrt –, man merkte es bei einer Entwurmungskampagne in Gabun, sie brachte Segen bei den grausigen Wurmkrankheiten der Tropen, aber die Kinder bekamen Allergien etc.

Schweinewurm vs. Morbus Crohn

Das machte in den 1990er-Jahren Joel Weinstock (Tufts Medical Center, Boston) hellhörig; er ist Gastroenterologe und hat viel mit Patienten zu tun, die an Morbus Crohn leiden, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung mit Bauchweh und Durchfall, therapierbar ist sie schwer. Auch sie ist ein Leiden der Reichen, die sich Hygiene leisten können, und weil Weinstock auch Parasitologe ist, dachte und brachte er alles zusammen und testete eine Wurmtherapie, erst an Mäusen, sie blieben vor Autoimmunkrankheiten geschützt.

Dann suchte er Freiwillige. „Das war nicht schwer“, erinnert er sich, „viele suchen alternative Therapien“ (Nature, 491, S.183). Seine bestand aus Eiern des Schweinepeitschenwurms (Trichuris suis), sie entwickeln sich auch im menschlichen Darm, lange leben die Würmer dort nicht. Aber lange genug, um die alte Wurmstrategie anzuwenden und das Immunsystem einzulullen: In einem Test – mehrfach 2500 Eier in einem Getränk – mit 29 Patienten wurden 72Prozent ihren Crohn los, man experimentiert auch bei anderen Leiden, etwa Multipler Sklerose.

Allerdings sind alle Tests klein, und der Weg, auf dem die Würmer wirken, ist noch nicht ganz klar: Es geht vor allem um die Stärkung der regulatorischen T-Zellen – die dämpfen das Immunsystem – und um die Schwächung der Makrophagen, sie sind die Akteure bei Entzündungen, die das Immunsystem auch gegen Würmer einsetzt. Ist es von ihnen gedämpft, schont es auch den eigenen Körper. Natürlich hätte man für Therapien lieber nur die Wirkstoffe, die die Würmer einsetzen, aber dabei ist man noch nicht weit, deshalb setzt Weinstock auf die lebenden Helfer: „Das Ziel ist es, wieder Organismen in Menschen einzubringen, auf einem kontrollierten Weg.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2012)

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