Warum die Hydra unsterblich ist

CAU/Fraune
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Beim Süßwasserpolypen sorgt ein Gen für ewiges Leben. Manche Menschen, die sehr alt werden, haben das Gen auch. Aber unsere andere Fortpflanzung setzt uns doch Grenzen.

Die Bestie, die neun Köpfe hatte, pflegte die Menschen mit ihrem Atem zu töten. Immer wenn Herkules einen Kopf abgehauen hatte, wuchs ein neuer nach. Deshalb brannte Iolaus, Herkules' Freund, die Wunden sofort aus. Auf den letzten Kopf, der unsterblich war, warf Herkules einen Felsen.“ Das ist eine Überlieferung des Kampfs mit der lernäischen Hydra, es gibt viele, sie differieren in Details – etwa in der Zahl der nachwachsenden Köpfe –, stimmen aber im Grundsatz überein: Dieses mythische Monster kann sich immer wieder erneuern, es lebt ewig.

Mit der Schere zerschnitten

Beide Charakteristika teilt es mit einem zwergenhaften, aber existierenden Verwandten – dem Süßwasserpolypen, er misst ein paar Millimeter bis Zentimeter –, im November 1740 demonstrierte es der Genfer Naturforscher Abraham Trembley in einem anderen ungleichen Kampf: „Bei der ersten Operation, die ich mit den Polypen ausführte, habe ich sie in die linke Hand genommen und mit der rechten Hand eine Schere um sie geführt. Dann habe ich die Schere geschlossen.“ Und wie immer der Schnitt geführt war – längs oder quer –, bald waren wieder zwei komplette Exemplare da, und mit der Zahl der Schnitte wuchs die der Tentakel. Trembley entsann sich des alten Mythos und schlug für den Polypen den Namen Hydra vor, Linnaeus griff ihn 1758 auf.

Da war allerdings noch nicht klar, was das für ein Lebewesen ist: Trembley hielt es für eine Pflanze, weil nur die aus Teilen wieder zur ganzen Gestalt wachsen können. Inzwischen weiß man, dass es ein Tier ist, mit etwa 550Millionen Jahren gattungsgeschichtlich ein uraltes. Und, zumindest theoretisch, ist es auch als Individuum unsterblich: Es lebt ewig, soferne es nicht irgendwelchen Katastrophen zum Opfer fällt. Und es lebt deshalb ewig, weil in ihm ein Gen besonders aktiv ist, FoxO (Pnas, 12.11.). Zu diesem Befund ist die Doktorandin Anna-Marei im Labor von Thomas Bosch (Uni Kiel) gekommen, und für den ist die jetzige seine „wichtigste Arbeit“: Er hat sein Forscherleben lang an Hydra gearbeitet, er hat erkundet, was hinter der Regenerationsfähigkeit steht – Stammzellen –, er hat sich mit Kieler Kollegen auch mit dem Altern des Menschen befasst: „Nun schließt sich der Kreis.“

Hydra besteht aus drei verschiedenen Zelltypen, sie sind ganz verschieden und können nicht ineinander übergehen. Aber bei der Genanalyse zeigte sich, dass in allen dreien – bzw. in den Stammzellen, aus denen sie immer wieder gespeist werden – ein Gen besonders aktiv ist, eben FoxO. Auf das setzte er seine Doktorandin an, und die schaltete mit Boschs gentechnischem Werkzeugkasten das Gen in manchen Stammzellen aus, in anderen machte sie es überaktiv: „Wenn man das Gen ausschaltet, wachsen die Tiere sehr schlecht, und völlig unerwartet ändert sich auch ihr Immunsystem“, berichtet Bosch: „Wenn man das Gen hingegen überexprimiert, teilen sich die Zellen zu viel und machen abartige Dinge, werden zu stark verjüngt.“

Wenn man das Gen aber exakt so aktiv lässt, wie es in der Natur ist, dann pflanzt sich Hydra fort ohne Ende. Das kann und tut sie grundsätzlich auf zwei Wegen, sexuell, selten, und ungeschlechtlich, unentwegt, alle drei Tage bildet sie eine Knospe: die nächste Hydra. In dieser Fortpflanzungsweise liegt für Bosch der Schlüssel, dort liegt auch der große Unterschied etwa zu Menschen: Zwar hat man in sehr Alten – „centenarians“, das sind die über Hundertjährigen – eine aktive Variante des gleichen Gens gefunden, aber das ewige Leben bringt auch sie uns nicht.

Immer unter Selektionsdruck

„Bei der sexuellen Fortpflanzung ist mit dem Erreichen bzw. Überschreiten der Selektionsdruck weg, dann kommt etwa Krebs. Denn es gibt keinen Grund mehr, einen aufrechtzuerhalten“, erklärt Bosch: „Man hat seinen Job getan. Hydra hat ihn nie getan, weil sie sich ungeschlechtlich fortpflanzt und der Selektionsdruck immer da ist.“ Ob und was Hydra dafür bezahlt – es gibt viele Hypothesen zur Überlegenheit der sexuellen Reproduktion über die ungeschlechtliche –, ist unklar.

Klar ist hingegen, dass man an ihr nun das Thema bearbeiten kann, das immer mehr ins Zentrum der Biologie im Allgemeinen und der Altersforschung im Besonderen rückt: Dass der Mensch altert, liegt für Bosch zu 20Prozent an den Genen und zu 80 an der Umwelt, der Ernährung etwa: „Und nun müssen wir verstehen, wie die 80Prozent Umwelt die 20Prozent Gene beeinflussen. Woher weiß FoxO, wie die Umwelt ist, und wer sagt dem Gen, dass es aktiv werden muss. Das ist die Frage der Zukunft: Wie redet die Umwelt mit dem Genom? Und das kann man an Modellorganismen angehen“, etwa an Hydra. Deshalb richtet man in Kiel gerade einen Lehrstuhl für „environmental genomics“ ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2012)

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