Menschen: Viele Mutationen in 10.000 Jahren

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Bei Amerikanern europäischer Abstammung sind schädliche Mutationen häufiger, weil der Selektionsdruck dort geringer war.

Die durchschnittliche Intelligenz der Menschen schwinde: Mit dieser Behauptung sorgte der US-Biologe Gerald Crabtree vor Kurzem für Aufsehen. Sein Argument war simpel: Bei Jägern und Sammlern sei Intelligenz wichtig fürs Überleben (und damit für die Chance, seine Gene weiterzugeben) gewesen; nur die Klügsten hätten überlebt. Dieser Selektionsdruck sei durch die Sesshaftigkeit weggefallen.

Gegenargumente liegen nahe: Auch im urbanen Dschungel ist Intelligenz gefragt, in der sexuellen Selektion, sprich: in der Partnerwahl, sowieso.

In einer viel eher ernst zu nehmenden Arbeit, die nun in Nature (online 29. 11.) erscheint, geht es ebenfalls darum, welche Evolution sich in der Art Homo sapiens in jüngerer Zeit abgespielt hat. Genetiker um Joshua Akey haben Gene von über 6000 Amerikanern analysiert, sie stellen fest: In den letzten 5000 bis 10.000 Jahren haben sich erstaunlich viele Mutationen in den Genpool geschlichen. 73 Prozent aller Mutationen in nur einer Base eines Gens sind in dieser Zeit entstanden und gar 86 Prozent aller schädlichen (also etwa Krankheiten begünstigenden) Ein-Basen-Mutationen in proteinbildenden Genen!

Der Selektionsdruck zählt

Interessant ist ein Unterschied zwischen Populationen: Menschen mit europäischer Abstammung haben deutlich mehr nachteilige Mutationen in essenziellen Genen als Menschen afrikanischer Abstammung. Das erklären die Autoren mit der für Biologen eigentümlichen Nüchternheit durch „weaker purifying selection“. Was schlicht bedeutet, dass sich schädliche Mutationen in Europa eher im Genpool gehalten haben, weil dort der Selektionsdruck geringer war, sprich: Individuen konnten – durch günstigere Umweltbedingungen – trotz dieser Mutationen überleben und Nachkommen zeugen.

Insgesamt hat die Art Homo sapiens in historischer Zeit ihre genetische Variabilität deutlich erhöht. Das bringt gewiss, wie die Genetiker schreiben, einen „larger burden of Mendelian disorders“, eine größere Last von monogenetischen (nur durch Mutation eines Gens ausgelösten) Erbkrankheiten. Aber man darf es nicht nur pessimistisch sehen: Etliche Mutationen können sich auch als – bei bestimmten Umweltbedingungen – vorteilhaft erweisen. Ein klassisches Beispiel: Mutationen, die Gene des Immunsystems so verändern, dass dieses besser gegen Krankheitserreger gerüstet ist. Solche Mutationen setzen sich bei einer Seuche sehr schnell durch. So hat die Pest, aber auch Aids den Genpool der Menschen deutlich beeinflusst. tk

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2012)

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