Die Köche in der Geschichte

Koeche Geschichte
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In den historischen Wissenschaften ist die bloße Quellenkunde in den Hintergrund getreten. Im Zentrum steht nun das blutvolle Leben.

Eine schöne Frau habe eine weiße Haut, die Haare wohlgekämmt, ihre Stirn (nicht zu) hoch; die Augenbrauen seien schmal, die Hände schlank, die Finger lang, die Taille wie die einer Ameise; und ihre „brüstlîn“ seien klein, zart und weiß und ragten „wohlgerundet hoch, wie gedrechselt, man kann sie mit einer Hand umfangen“. Dieses Idealbild einer Frau des Spätmittelalters zeichnet der Wiener Historiker Karl Brunner in seinem kürzlich erschienenen Buch „Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters“ (Beck'sche Reihe, 269 Seiten, 15,40 Euro). Der ehemalige Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (IÖG) nennt sogar einige „No-Gos“: Schöne Frauen hätten weder Puder noch Schminke nötig, und eine Stützung der Brust durch Binden sei damals als „besondere Eitelkeit“ gegeißelt worden.

Solche Details, die eingebettet sind in Beschreibungen des gesamten Lebenskreises der Menschen, ihrer Wohnstätten, ihrer Feste und Glaubensvorstellungen, illustrieren die Kernaussage eines Symposiums gut, das diese Woche stattfand: Mediävistik, also die Erforschung des europäischen Mittelalters, befasst sich zwar auch mit der Geschichte der Herrscherhäuser und Fürstenhöfe, aber der Fokus ist mittlerweile auf das gesamte soziale Spektrum dieser Jahrhunderte gerichtet: auf Bürger und Bauer, auf Ritter und Räuber, auf Mann und Frau.


Erneuerer Fichtenau. Brunners heute so plausibel erscheinende Geschichtsdarstellung hat sich erst vor 50 Jahren durchgesetzt. Im Jahr 1962 wurde der Historiker Heinrich Fichtenau mit der Leitung des IÖG betraut, er änderte schlagartig die Stoßrichtung des Instituts. Seine erste große Forschungsarbeit hatte die Lebensbilder der Menschen im 10. Jahrhundert zum Inhalt. Bis dahin beschränkte sich die Institutstätigkeit auf die Herausgabe von Geschichtsquellen, in erster Linie auf die Diplomatik, also das Edieren von Urkunden. „Fichtenau hat auch Urkunden ediert“, sagte der Historiker Thomas Winkelbauer bei dem Symposium, das vom IÖG und den Wiener Vorlesungen anlässlich des 100. Geburtstags von Fichtenau (der im Jahr 2000 verstarb) veranstaltet wurde. „Aber er hat die bis dahin bestehende Einseitigkeit kritisiert.“ Fichtenau sah vielmehr die Urkunde als Quelle der Rechts- und Sozialgeschichte.

Winkelbauer, seit zwei Jahren Vorstand des Instituts (als Nachfolger von Karl Brunner, der das IÖG von 2002 bis 2010 leitete), will seinen Mitarbeitern „ihre Freiheit lassen“. Einige würden sich den historischen Hilfswissenschaften widmen, „sehen diese aber gleichzeitig als Voraussetzung, um sich dann mit der Geschichtsschreibung und in der Folge mit konkreten Themen und Fragestellungen auseinanderzusetzen“.


Cäsar und sein Fußvolk. Die Forschungen am IÖG konzentrieren sich auf einige Langzeitprojekte, darunter die Regesta Habsburgica (kritische Erschließung des Quellenmaterials der frühen Habsburger), des Urkundenbuchs der Habsburger sowie auf die von Winkelbauer bearbeiteten Themen Herrschaftsverwaltung, Grundherren und Untertanen.

Eine Geschichtsschreibung wie vor 50 Jahren wird heute nur noch am Rande praktiziert. Natürlich gebe es weiterhin die Herrschaftsgeschichte, zu dieser sei ja auch am meisten in den Quellen zu finden, sagt Herwig Wolfram, emeritierter Uni-Professor und 1983 der Nachfolger Fichtenaus am IÖG. „Aber heute geht es um die Frage: Was verändert der Mensch an der Geschichte?“

Wolfram beruft sich wiederum auf Karl Brunner, der in seiner „Kleinen Kulturgeschichte“ Bertold Brechts Roman „Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar“ zitiert: „Cäsar eroberte Gallien – hatte er wenigstens einen Koch dabei?“ Eine sorgsame Lektüre der Quellen fördere erstaunlich viele Informationen über die Köchinnen und Köche zutage, die politisches Handeln erst möglich machten. Wolfram: „Jetzt sind stets sehr viele Köche zu finden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2012)

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