Kotrschal und Taschner: "Wir sind gar nicht zerstritten!"

Kotrschal Taschner sind nicht
Kotrschal Taschner sind nicht(c) Herbert Pfarrhofer
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Biologe Kurt Kotrschal und Mathematiker Rudolf Taschner, beide streitbare "Presse"-Kolumnisten, polemisieren oft gegeneinander. Wir luden sie an einen Kaffeehaustisch.

Die Presse: Sie haben in Kolumnen und Leserbriefen über Wissenschaft, Gott und die Welt gestritten. Sie, Prof. Kotrschal, haben einmal – natürlich nicht ohne Selbstironie – geschrieben, Taschner–Kotrschal, das sei brutal wie das sprichwörtliche Simmering–Kapfenberg. Hat Ihnen das manchmal auch Spaß gemacht?

Kotrschal: Den Lesern jedenfalls, glaube ich. Menschen haben ja an nichts mehr Freude als am Konflikt, besonders wenn es sie selber nicht betrifft. Auch darum rutschen Kontroversen zwischen Wissenschaftlern oft ins Persönliche. Aber in Wahrheit schätze ich Herrn Taschner natürlich.

Kotrschal hat einmal in der „Presse“ eine darwinistische Erklärung für Kindsmord gebracht. Sie, Prof.Taschner, haben ihm darauf vorgeworfen, diesen zu verharmlosen. Was ist so schlecht an Erklärungsversuchen?

Taschner: Bei jeder Erklärung spielt die Illusion mit, mit ihr habe man ein Phänomen gleichsam gezähmt. Und das stimmt nicht, gerade bei so Fürchterlichem wie Kindsmord. Wenn man sagt, das können wir klären, dann klingt das wie: Jetzt haben wir die Sache im Griff. Aber das Böse haben wir nicht im Griff.

Kotrschal: Man kann unsere Handlungen und Konditionierungen nicht ohne evolutionären Hintergrund verstehen!

Taschner: Gewiss, die Evolution ist ein sehr erfolgreiches Erklärungsmodell. Aber sie ist nichts als eine Theorie, die mit Wirklichkeit von vornherein nichts zu tun hat. Sie hat große Validität, aber das heißt nicht, dass sie fundamental ist. Fundamental ist mein existenzielles Dasein und Erleben.

Kotrschal: Aber wo kommt dieses Erleben her? Wir wissen heute, wie die Einstellungen gebildet werden, die bestimmen, wie wir die Dinge des Lebens sehen.

Prof.Taschner, Sie haben sich einmal als frommen Agnostiker bezeichnet. Ist Ihre Frömmigkeit genau das, was über die Wissenschaft hinausgeht?

Taschner: Ja, selbstverständlich.

Kotrschal: Der Anthropologe Volker Sommer wurde einst nach Indien geschickt, um den Kindsmord von Tempelaffen zu untersuchen, in einem Hindutempel natürlich. Nach einer Zeit hat der Hindupriester gesagt: Du wohnst bei uns, du isst bei uns, das kostet dich alles nichts, könntest du nicht etwas für uns tun und den Tempel als Priester übernehmen? Darauf hat sich Sommer überlegt: Ich bin Agnostiker, ich glaube nicht an das Brimborium, aber ich habe ein spirituelles Gehirn, also warum nicht? Dann ist er draufgekommen, dass es schön ist, seine Spiritualität auszuleben. Seither ist er Hardcore-Biologist und Hindupriester, kein Problem für ihn.

Taschner: Mit vielen Göttern ist es immer leichter. Bei den alten Ägyptern war der Götterkult ja noch eine sehr ernste Sache. Der griechische Olymp war dagegen ein Intrigenstadel ersten Ranges. Damit konnte die Wissenschaft beginnen. Weil die Menschen wussten, dass diese Götter lächerlich sind.

Kotrschal: Machiavelli sagte: Wenn du deine Macht mehren willst, mehre die Zahl deiner Berater. Was haben die Griechen gemacht? Sie haben alles mit Göttern übersät.

Taschner: Aber für die Römer gab es dann auch das „fas“, da haben sie wirklich Angst gehabt. Und da gab es nur eines.

Für Naturwissenschaftler gibt es doch auch nur eine Substanz: Leib-Seele-Dualismus lehnen die meisten ab.

Kotrschal: Als Naturwissenschaftler kann ich kein Schlupfloch lassen, wie Biologen in den Dreißigern, die sagten: Der Instinkt ist einer Erklärung weder zugänglich noch bedürftig. Konrad Lorenz hat zu Recht erwidert: Nix da, wir sind Materialisten. Aber ich sehe sehr wohl, dass wir keinen hundertprozentigen Erklärungsanspruch für diese Welt stellen können. Weil wir auf unsere Methode fixiert sind. Natürlich gibt es auch Biologen, die an Gott glauben. Ich verstehe nur nicht, wenn jemand fundamentalistisch ist, glaubt, dass die Welt in sieben Tagen erschaffen worden ist.

Taschner: Da muss man sich halt fragen, was ist ein Tag... Aber nein: Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand das glauben kann.

Kotrschal: Wenn ich gläubig wäre, hätte ich so etwas wie eine theistische Theologie.

Taschner: Sehen Sie, wir sind gar nicht zerstritten, wir brauchen uns gar nicht versöhnen.

Peter Strasser, auch „Presse“-Kolumnist, hat einmal geschrieben: „Rudolf Taschner hat eine Seele. Hat Kurt Kotrschal wirklich keine?“

Kotrschal: Ich muss keine haben... Kommt darauf an, was man mit Seele bezeichnet. Ich bin fasziniert vom Animismus, glaube aber nicht daran.

Psychologie ist ja eine Wissenschaft, die nicht an die Seele glaubt...

Kotrschal: Die Biologen sprechen auch von Geist und meinen nichts Metaphysisches damit, sondern die Produkte der Denkvorgänge im Gehirn. Was ist Seele? Was nach dem Tod übrig bleibt? Oder das gesamte Wesen eines Menschen?

Taschner: Der liebende Mensch sagt: Ich liebe dich, weil ich deine Seele liebe. Wenn Sie mir sagen, ich soll wissenschaftlich genau erklären, was ich damit meine, antworte ich: Das sag ich einfach nicht! Das geht durch das Netz der Wissenschaft durch. Ein Wissenschaftler ist wie ein Fischer, der Fische mit einem Netz fängt. Dann sagt er: Die Fische sind alle über fünf Zentimeter groß. Er merkt nicht, dass sein Netz eine Maschenweite von fünf Zentimetern hat...

Kotrschal: Ich glaube, ein wesentlicher Unterschied zwischen Ihnen und mir ist, dass Sie sich irgendwie gegen Ihre letztliche Erklärbarkeit sperren. Mir ist das wurscht. Es ist für mich keine Verletzung meiner Privatsphäre, zu erkennen, dass ich letztlich erklärbar bin.

Wie ist das bei Ihnen?

Taschner: Wenn meine Frau letztlich erklärbar wäre, würde das meine Liebe zu meiner Frau wertlos machen. Ich will sie nicht erklärbar machen.

Kotrschal; Ich glaube nicht, dass Erklärung die Welt entzaubert. Lorenz hat einmal gesagt: Je mehr wir über die Natur wissen, umso mehr finden wir sie wunderbar. Und je mehr ich über mich weiß, umso mehr muss ich mich wundern. Wir Menschen haben ein einzigartiges Artmerkmal: unser reflektierendes Gehirn.

Hat die Biologie nicht Glück, dass sie derzeit so viel erklären kann?

Kotrschal: Weil wir einfach recht haben! (Alle lachen.)

Physiker dagegen stoßen immer mehr an erkenntnistheoretische Grenzen.

Kotrschal: Ja, die Physiker sind jetzt arm, weil sie ihre Physik nicht mehr in Bildern verstehen können. Da stoßen sie an die Grenzen ihres Gehirns. Was in der Biologie abrennt, kann ich mir zum großen Teil gut vorstellen.

Taschner: Ich muss Ihnen gestehen, diese genetischen Sachen, wo man die Gene wie Legosteine sieht, ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen.

Kotrschal: Es ist so mechanistisch, dass es eigentlich ein Horror ist, dass wir einsehen müssen, wie mechanisch wir aufgebaut sind.

Wenn Sie eine Differenzialgleichung zu lösen hätten, würden Sie jedenfalls vertrauensvoll zu Taschner gehen?

Kotrschal: Natürlich.

Taschner: Da muss er aber erst einmal die Differenzialgleichung eines Wolfsrudels aufstellen!

Und wenn Sie einen Hund hätten, würden Sie ihn Kotrschal anvertrauen?

Taschner: Sofort. Auf immer. Meine Hunde sind aus Porzellan. Ich hätte Angst, in der Stadt Hunde zu haben. Am Land ist es anders. Mein Vater hat Hunde gehabt, auch Hendln, die hat er mit der Hacke erschlagen, auf anständige Art. Darum esse ich auch Hühnerfleisch. Kotrschal: Ich habe auch kein Problem mit dem Töten von Tieren. Aber das Leben vorher und der Tod müssen würdevoll sein.

Also was gibt es bei Ihnen zu Weihnachten?

Kotrschal: Einen Hirsch, von dem ich weiß, dass er den Schuss nicht mehr gehört hat. Zuerst war er tot, und dann erst kam der Schall.

Rudolf Taschner, geboren am 30.März 1953 in Ternitz, ist Mathematiker. Er arbeitet an der TU Wien und betreibt den „math.space“ im Wiener Museumsquartier. Er schrieb etliche populäre Bücher wie „Der Zahlen gigantische Schatten“ und „Gerechtigkeit siegt – aber nur im Film“. In der „Presse“ erscheint jeden Donnerstag seine „Quergeschrieben“-Kolumne.
Kurt Kotrschal, geboren am 5.Mai 1953 in Linz, ist Biologe an der Uni Wien. Seit 1990 leitet
er die Konrad-Lorenz-Forschungsstelle im Almtal. Kürzlich ist sein Buch „Wolf-Hund-Mensch – Die Geschichte einer Jahrtausende alten Beziehung“ herausgekommen. In der „Presse“ erscheint jeden zweiten Dienstag seine Kolumne „Mit Federn, Haut und Haar“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2012)

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