Forschung: Das Lernen macht der Mensch im Schlaf

Lernen macht Mensch Schlaf
Lernen macht Mensch Schlaf(c) Erwin Wodicka wodicka aon at (Erwin Wodicka)
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Ein FWF-Projekt der Uni Salzburg erforscht, was im Gehirn abläuft, wenn man Bewegungsabläufe neu- oder umlernt: Was passiert während der Bewegung, was im Schlaf in der Nacht danach?

Haben Sie kürzlich einem Kind dabei zugesehen, wie es Skifahren lernt? Oder einem Erwachsenen? Man möchte meinen, Kindern fällt es generell leichter, Bewegungsabläufe zu lernen. Doch ein FWF-Projekt der Uni Salzburg zeigt in ersten Pilotversuchen, dass Kinder sich beim Umlernen großmotorischer Bewegungen manchmal schwerer tun. Konkret geht es nicht um Skifahren – die Studie soll ja ganzjährig durchführbar sein –, sondern um Radfahren. Im Fachbereich für Sport- und Bewegungswissenschaft wurde ein „Inversionsfahrrad“ gebaut: Bei diesem ist alles gleich wie bei einem normalen Fahrrad, außer dass die Lenkung entgegengesetzt funktioniert. „Lenkt man nach links, fährt man nach rechts“, erklärt der Sportwissenschaftler Jürgen Birklbauer.

Die motorische Aufgabe besteht u.a. darin, dass man lernt, 30 Meter geradeaus zu fahren, ohne mit den Füßen den Boden zu berühren. Bei Erwachsenen hat sich gezeigt, dass es im Schnitt 1,5 Stunden dauert, bis das Fahrrad mit dem verkehrten Lenker beherrscht wird. Von den 16 Kindern (zwischen neun und zehn Jahren), die in Vorversuchen mitmachen durften, hat es kein einziges geschafft, nach zwei Stunden mit dem Inversionsfahrrad nur ein paar Meter zurückzulegen. „Freilich sind auch nicht alle Erwachsenen gleich gut, manche erlernen es in zwölf Minuten, andere kommen nach vier Stunden keinen Meter weit“, sagt Birklbauer.


Wie Kinder lernen. Bewegungsabläufe, die viele Gelenke und Muskeln des Körpers einbinden, nennt man „großmotorische Bewegungen“. Hingegen sind Bewegungen z.B. nur der Finger „kleinmotorisch“. Am großmotorischen und damit alltagsnahen Lernen von Kindern wurde bisher wenig geforscht. Das Vorurteil, dass Kinder Bewegungen schneller lernen als Erwachsene, bestätigte sich zumindest für diese spezielle Aufgabe nicht.

Nun will man das Thema noch viel genauer erforschen: Es soll nicht nur gemessen werden, wie gut Kinder und Erwachsene auf verkehrt lenkenden Rädern fahren können, sondern auch wissen, was das Gehirn dabei tut: Was passiert beim Lernen? „Bisher hat sich gezeigt, dass zumindest bei Erwachsenen der Schlaf für die Einspeicherung von zuvor gelernten motorischen Inhalten sehr wichtig ist“, erläutert die Leiterin des FWF-Projekts, Kerstin Hödlmoser, Schlafforscherin im Fachbereich Psychologie der Uni Salzburg.

Die Versuchspersonen werden bei diesem Projekt entweder am Vormittag oder am Abend ins Labor gebeten, fahren zwei Stunden lang mit dem Inversionsfahrrad und machen dann einen Test. Mithilfe von Sensoren auf dem Fahrrad wird gemessen, wie gut sie geradeaus oder Slalom fahren können, und wie viel sie dafür lenken. Nach dem Test vergehen zwölf Stunden.

Die Gruppe, die am Vormittag gelernt hat, wird abends noch einmal getestet, wieder wird die Lenkleistung gemessen. Jene, die am Abend lernen, schlafen einmal darüber und haben am folgenden Morgen den zweiten Test. „Personen, die geschlafen haben, haben den veränderten Bewegungsablauf weniger vergessen“, sagt Birklbauer. Alle Probanden waren nach zwölf Stunden schlechter als beim ersten Test, doch bei jenen, die geschlafen hatten, verschlechterte sich die Lenkleistung eindeutig weniger als bei denjenigen, die tagsüber wach waren.

Bei Kindern konnte diese positive Auswirkung des Schlafs auf großmotorische Lernaufgaben bisher nicht gezeigt werden. Eine Tübinger Forschungsgruppe belegte kürzlich für feinmotorische Aufgaben, dass Kinder im Schlaf auch unbewusst gelernte Gedächtnisinhalte so verfestigen, dass daraus bewusstes Wissen werden kann. Zudem scheinen Kinder im Gegensatz zu Erwachsenen auch stärker tagsüber, also im Wachzustand, Lerninhalte zu verfestigen – was aber nicht bedeutet, dass der Schlaf bei Kindern weniger wichtig wäre. „Die Wirkung liegt ja nicht an der Erholung, die der Schlaf bietet, sondern in den Leistungen des Gehirns“, so Birklbauer.

Das weiß man, weil die schlafenden Probanden am Kopf verkabelt waren: Mittels Gehirnstrommessungen (Elektroenzephalografie, EEG) wird aufgezeichnet, wie aktiv bestimmte Hirnregionen (insbesondere der Cortex) sind. „Bisher weiß man vom Faktenlernen – etwa Vokabel oder Hauptstädte Europas –, dass während des Schlafs eine Verschiebung von Gedächtnisinhalten vom Hippocampus in den Neocortex stattfindet, wobei die Inhalte verfestigt werden“, sagt Hödlmoser. Doch der Einfluss von Schlaf speziell auf das großmotorische Lernen wurde bisher kaum erforscht.

Mehrere Studien zeigten zwar bereits für kleinmotorische Aufgaben (z.B. spiegelverkehrtes Zeichnen), dass der Schlaf für die erfolgreiche Abspeicherung des Gelernten wichtig ist. „Aber vieles, was wir an Bewegung im Alltag lernen, ist großmotorisch und bindet den ganzen Körper ein“, so Birklbauer. Die Motorikforschung verdeutlicht immer wieder, dass Lernmodelle, die anhand einfacher, kleinmotorischer Bewegungen gewonnen wurden, nicht ohne Weiteres auf das Er- und Umlernen komplexer, großmotorischer Bewegungshandlungen übertragbar sind. „Unsere Annahme ist, dass die positive Wirkung des Schlafs bei großmotorischen Bewegungen noch stärker ist: Denn die Anforderungen an das Nervensystem nehmen deutlich zu, je mehr Gelenke und Muskeln am Bewegungsablauf beteiligt sind“, sagt Birklbauer. „Wir wollen also nicht nur messen, wie der Schlaf die Lernleistung verändert, sondern auch, wie das Lernen den Schlaf bzw. die Gehirnaktivität in einzelnen Schlafphasen beeinflusst.“


Nachts aktiv. Dass neu Erlerntes im Schlaf noch einmal durchgespielt wird, weiß man aus Tierversuchen, beispielsweise an Ratten. Die gleichen Nervenzellen, die tagsüber eine Bewegung gelernt haben, sind nachts noch einmal aktiv. So wird neue Information bewertet und verfestigt. Vereinzelte Studien konnten zeigen, dass bei Menschen die REM-Phase des Schlafs länger dauert, wenn man am Vortag eine großmotorische Bewegung gelernt hat. In dieser Phase bewegt man sich im Schlaf gar nicht, bis auf die Augen – daher der Name „Rapid Eye Movement“ (REM). „Anhand von EEG-Ableitungen allein kann man nicht erkennen, ob der Proband wach oder in der REM-Phase ist, da die Gehirnstrommuster sehr ähnlich sind“, erklärt Hödlmoser.

Die Studien in den nächsten drei Jahren sollen zeigen, ob auch andere Schlafstadien für die neuronalen Prozesse wichtig sind, die das Bewegungslernen und -gedächtnis beeinflussen. Bisher weiß man, dass insbesondere im Schlafstadium 2 bestimmte Gehirnstrommuster, sogenannte Schlafspindeln, auftreten, die mit der Leistung am nächsten Tag zusammenhängen. Die Salzburger Gruppe zeigte das erstmals für großmotorisches Lernen: Das Inversionsradfahren am nächsten Tag gelingt besser, je mehr Schlafspindeln im Schlafstadium 2 zu sehen waren.


Portables EEG. Die Ergebnisse an Kindern liegen noch nicht vor. Insgesamt ist die Untersuchung des Schlafs von Kindern schwieriger, da es für diese ungewohnter ist, im Schlaflabor zu übernachten. Doch mit neuen tragbaren EEG-Geräten hoffen die Forscher, dass die Messungen auch im normalen Zuhause der Probanden möglich werden. Ebenfalls dem Fortschritt der Technik ist es zu verdanken, dass erstmals EEG-Messungen während der großmotorischen Bewegung gemacht werden können. Bisher war das umstritten, da jede Bewegung des Körpers zu einem Störsignal in der Messung führen kann. Doch Kerstin Hödlmoser setzt auf „Extreme EEG“ mit Elektroden, die für „Aktivmessungen“ entwickelt wurden. Sie sollen zeigen, welche Aktivität bei fahrradfahrenden Menschen im Gehirn abläuft.

Erste Versuche zeigten, dass die Probanden, die schon gut mit dem Inversionsfahrrad unterwegs waren, bei diesen Fahrten gleich schnell waren wie mit dem normalen Fahrrad. „Doch die Gehirnaktivität unterscheidet sich: Beim Inversionsfahrrad ist sie insbesondere im sogenannten Alpha-Frequenzbereich stärker ausgeprägt“, sagt Birklbauer. Diese speziellen EEG-Wellen schwingen acht- bis zwölfmal pro Sekunde und treten vor allem dann auf, wenn das Gehirn etwas hemmen muss. Daher schließen die Forscher, dass während des Radelns mit dem verkehrten Lenker das Gehirn die bekannten Bewegungsmuster hemmt, die für das normale Fahrradfahren abgespeichert wurden.

Doch dazu – ebenso wie für den Vergleich zwischen Erwachsenen und Kindern – müssen noch mehr Daten gesammelt werden. Erst dann wird man wissen, was im Gehirn abläuft, wenn wir Bewegungen lernen – während des Wachseins und im Schlaf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.01.2013)

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