Streit in den USA: Gibt es ein Massenmördergen?

DNA-Strang
DNA-Strang(c) Dpa (Saar Universität)
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Das Genom des Mannes, der am 15. Dezember in Connecticut ein Blutbad anrichtete, soll sequenziert werden. So will es die Gerichtsmedizin. Viele Forscher und das Wissenschaftsjournal Nature sind strikt dagegen.

Was kann einen Zwanzigjährigen veranlassen, erst seine Mutter, dann 20 Schulkinder und sechs Lehrer und schließlich sich selbst zu erschießen? Gibt es vielleicht eine besondere Genvariante, die einen Menschen zum Massenmörder werden lässt? Diesen Verdacht hegt offenbar der oberste Gerichtsmediziner des Bundesstaats Connecticut, in dem die Tat begangen wurde: Er hat an der University of Connecticut eine Genanalyse des (toten) Täters Adam Lanza in Auftrag gegeben, und zwar eine, die nicht auf einzelne Gene schaut, sondern auf das ganze Genom.

Das bringt ihm nun harte Kritik ein, von Forschern und, vor allem, von einem ihrer Sprachrohre, Nature (493, S.133): Das Unternehmen sei „fehlgeleitet und könnte zu gefährlicher Stigmatisierung führen oder zu Schlimmerem“, urteilt man im Editorial.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass hinter Gewaltverbrechen eine körperliche Anlage vermutet wird, die sich schon finden lässt, wenn man nur tief genug in den Körper hineinschaut: 1931 etwa suchten deutsche Gerichtsmediziner im Gehirn des Masenmörders Peter Kürten – des „Vampirs von Düsseldorf“ – nach besonderen Strukturen, 1994 taten es US-Ärzte bei einem anderen Massenmörder immer noch. Und heute setzen manche Angeklagte auf Diagnosen mit bildgebenden Verfahren, die zeigen sollen, dass mit ihrem Gehirn etwas nicht stimmt.

Genetik gehört in den Kontext der Umwelt

Auch die Gene sind schon länger im Gerichtssaal, erstmals berief sich 1998 in den USA ein Mörder darauf, andere folgten, Erfolg hatte keiner. Denn ganz so einfach ist es mit den Genen nicht: „Lanzas DNA wird nicht analysiert, weil es nützlich ist, sondern weil es möglich ist“, urteilt Nature und wird dann für ein Wissenschaftsjournal ungewöhnlich bedacht: „Genetik hat nur Bedeutung im Kontext der Umwelt.“

Denn man hat bisher keinerlei Hinweise darauf gefunden, dass irgendeine Genvariante per se Gewalt bringt; sehr wohl gibt es aber Spuren, dass Genvarianten dann Gewalt bringen, wenn ihren Trägern selbst in der Jugend Gewalt angetan wurde. Zudem gelten solche Zusammenhänge immer nur für Gruppen (und mit Wahrscheinlichkeiten), nie für Individuen.

Aber irgendetwas wird man schon finden bei Lanza, vielleicht Gene, die mit Autismus in Verbindung gebracht werden (Lanza hatte autistische Züge). Dann kämen, fürchtet Nature, alle Menschen, die diese Genvariante haben, in Generalverdacht; und das gelte für jedes Gen Lanzas, „selbst wenn es nur mit der Form der Ohren zu tun hätte“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2013)

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