Déjà-vu: Woher stammen die Aschkenasim?

(c) Clemens Fabry
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Was Koestler 1976 in seinem Buch „Der dreizehnte Stamm“ postulierte das, die Herkunft der osteuropäischen Juden nicht aus Israel, sondern aus dem Kaukasus kamen, findet nun Unterstützung in einer Genanalyse.

Das ist ein unheilvolles Buch, und Koestler muss sehr gut wissen, dass er die allerlebhafteste Katze unter die allernervösesten, irritierbarsten Tauben gesetzt hat.“ So reagierte der Publizist Philip Toynbee, Sohn des Historikers Arnold, 1976 auf das Buch „The Thirteenth Tribe“, der Schriftsteller Arthur Koestler hatte es gerade publiziert und den Inhalt – und die Stoßrichtung – so zusammengefasst: „Ich habe die historischen Beweise zusammengetragen, die darauf deuten, dass die große Mehrheit der osteuropäischen Juden – und damit der Juden der Welt – eher chasarisch-türkischen als semitischen Ursprungs ist. Im Schlusskapitel habe ich zu zeigen versucht, dass die anthropologischen Beweise zusammen mit den historischen den populären Glauben an eine jüdische Rasse, die von einem biblischen Stamm abstammt, widerlegt.“

Das war auch sein Programm, Koestler wollte dem Antisemitismus den Boden entziehen – indem er die semitischen Wurzeln abschnitt, so erzählte er es zumindest einem französischen Biologen (und der erzählte es einem Koestler-Biografen). Das schlug ein, der österreichisch-ungarische Jude Koestler wurde des Antisemitismus geziehen – und von Neonazis dafür gelobt –, und unter Historikern fand die Hypothese wenig Anklang, zu dünn waren Koestlers Beweise.

Vom Heiligen Land via Rheinland?


Aber die Reaktionen konnten die grundlegende Frage nicht klären: Woher stammen die Aschkenasim, die Juden Mittel- und Osteuropas? Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten sie ungefähr 90 Prozent der Juden der Welt. Die konnten nicht so gekommen sein, wie es die „Rhineland Hypothesis“ behauptet, davon geht Eran Elhaik aus, Genetiker an der Johns Hopkins School of Medicine: Mit „Rhineland“ meint er das Szenario, dass im 7. Jh. Juden aus dem Heiligen Land flohen, als es von Moslems überrannt wurde. Sie zogen nach Westen, bis an den Rhein, und von dort zogen im 15. Jh. etwa 50.000 nach Osteuropa, dort waren sie willkommen, dort gab es damals keine Pogrome. Sie blieben weithin unter sich, und doch waren sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts acht Millionen. Um auf diese Zahl zu kommen, hätten sie sich mit 1,7 bis zwei Prozent pro Jahr vermehren müssen, zehn Mal so stark wie ihre nicht jüdischen Nachbarn.

Also doch die Gegenhypothese, die Koestlers? Für ihn waren die osteuropäischen Juden nicht aus dem Westen gekommen – „Rhineland“ –, sondern aus dem Osten, aus dem Kaukasus. Dort errichtete im 7. Jh. das Turkvolk der Chasaren ein Reich, dessen Mitglieder im 8. Jh. zum Judentum konvertierten, es wanderten auch Juden aus dem Süden ein, auf der Flucht vor Moslems. Im 13. Jh. brach das Reich unter dem Ansturm der Mongolen zusammen, „und viele Chasaren flohen nach Osteuropa, manche weiter nach Westeuropa“ (Genome Biology and Evolution, 16. 1.).

So fasst Ehaik zusammen, was er in Genen von 1287 Personen von acht jüdischen und 74 nicht jüdischen Populationen in Europa und dem Nahen Osten gefunden hat. Das ist nicht die erste Gen-Analyse, die den Ursprung der osteuropäischen Juden – der Aschkenasim – zu klären versucht, frühere Anläufe waren eher auf Verwandtschaft mit Juden in Israel und sephardischen Juden gestoßen. Aber Ehaik nimmt für sich in Anspruch, dass ihm als Erstem breite Gendaten auch aus dem Kaukasus zur Verfügung standen: „Unsere ersten Analysen zeigten, dass der biogeografische Ursprung der europäischen Juden im Süden des Chasarenreichs lag“, schließt Ehaik, in späteren Verfeinerungen habe er dann ein komplexes Gemisch auch mit nahöstlichen und südeuropäischen Anteilen gefunden, aber „die Ahnenschaft des Kaukasus bleibt leicht dominant“.

Jiddisch kommt nicht aus dem Kaukasus!


So steht es nun schwarz auf weiß auf Papier, aber lesen konnte man es – auf der Internetseite arXiv, auf der Arbeiten rasch (vor)publiziert und debattiert werden – seit Monaten. Dort hielt sich die Aufregung über das Aufleben der lebhaftesten Katze in Grenzen. Kritiker merkten vor allem an, dass nicht sicher ist, ob alle Chasaren Juden wurden (oder nur die Oberschicht). Und: Die Aschkenasim reden Jiddisch, das hat mittelhochdeutsche Einflüsse, keine aus dem Kaukasus.

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