USA und Europa bauen erstes gemeinsames Raumschiff

Europa bauen erstes gemeinsames
Europa bauen erstes gemeinsames(c) Nasa
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Die künftige bemannte US-Raumkapsel „Orion" erhält ein europäisches Antriebssegment. Es ist das erste Projekt diesen Umfangs in der Raumfahrtgeschichte.

Gemeinsame Pressekonferenzen der Raumfahrtagenturen Nasa und ESA sind nicht eben alltäglich. Und was dabei in der Nacht auf Donnerstag bei einem gemeinsamen Auftritt von Vertretern beider Behörden in Washington verlautbart wurde, markiert einen Meilenstein der Raumfahrtgeschichte: Erstmal bauen zwei Raumfahrtnationen (bzw. -Blöcke, in der Europäischen Weltraumagentur ESA sind ja 20 Mitgliedstaaten vertreten, darunter Österreich) gemeinsam ein Raumschiff - und zwar vorrangig für erdferne Missionen zum Mond, zu Asteroiden und sogar zum Mars.

Dabei wird das bisher von den USA allein geplante „Orion"-Raumfahrzeug mit einem Antriebs- und Energieversorgungsmodul („Servicemodul") ausgestattet, das die ESA aus ihrem automatischen unbemannten Raumfrachter „ATV" (Automated Transfer Vehicle) entwickeln. ATVs fliegen seit 2008 Versorgungsgüter zur Internationalen Raumstation ISS, laden dort Abfall und verglühen beim Sturz Richtung Erde. Alle drei bisherigen ATV-Flüge sind problemlos verlaufen, was bestätige, dass Europa fortgeschrittene und verlässliche Raumschiffe bauen könne, sagte Nico Dettmann, Leiter des ATV-Bauprogramms.

Vier bis sechs Menschen an Bord

In der eigentlichen Kapsel für die Orion-Crew sollen vier (für eventuelle Flüge zur ISS sechs) Menschen Platz haben. Die Kapsel mit ihren etwa neun Tonnen Masse wird, nachdem man futuristische Projekte wie von Space-Shuttle-artigen „Weltraumflugzeugen" Anfang der 2000er-endgültig verworfen hat, auf Vorlage der bekannten „Apollo"-Kapseln der 1960er/70er-Jahre gebaut, mit denen Menschen zum Mond flogen.

Das europäische Servicemodul ist Raketenantrieb, Flugsteuerung und Klimaanlage für die Crewkapsel und beherbergt Systeme für Lebenserhaltung und Wasseraufbereitung; mit Sonnensegeln wird Strom erzeugt. Das Modul dürfte um die zwölf Tonnen Masse haben, es wird bei der Rückkehr zur Erde abgekoppelt und verglüht.

Als drittes Element gibt es das „Launch Abort System", eine Art Rettungsrakete, die das Crewmodul bei einem Notfall während des Starts in Sicherheit bringen soll, das vierte Element wird ein Landemodul sein.

Die Orion-Crewkapseln vom Hersteller Lockheed Martin werden deutlich größer sein als die der „Apollos", die Platz für nur drei Leute hatten: Sie messen etwa fünf mal drei Meter, ihr Gesamtvolumen wird mit rund 19 Kubikmeter (davon etwa die Hälfte tatsächlich bewohnbar) das Zweieinhalbfache der Apollos betragen. Zudem sind die Orion-Crewmodule moderner und sicherer - und menschenfreundlicher: Es soll etwa ein richtiges Klo geben; die Apollonauten benutzten für ihr außerirdisches Geschäft noch die verhassten „Apollo bags" aus Plastik. Zudem sollen die großteils aus einer Aluminium-Lithium-Legierung bestehenden neuen Crewkapseln bis zu zehn Mal wiederverwendbar sein.

Das mehr an Gemütlichkeit in den Orions ist sicher nötig: Nach einem ersten unbemannten Testflug in Kombination mit dem ATV-Servicemodul bis in Mondnähe im Jahre 2017 soll 2020 ein bemannter Flug in einen Mondorbit folgen - und vielleicht noch im selben Jahrzehnt die bisher längste Reise von Menschen, vermutlich zu einem der großen Asteroiden des Asteroidengürtels, der ringförmigen Struktur aus Gesteinsbruchteilen zwischen der Bahn von Mars und Jupiter. Bis 2040 könnte es einen bemannten Marsflug geben.

"Weiter als je zuvor ins All"

Dieses neue Kapitel der internationalen Kooperation im Weltraum „hilft uns weiter bei unseren Plänen, Menschen weiter als je zuvor ins All zu schicken", sagte Dan Dumbacher, Nasa-Vizechef und zuständig für Langstrecken-Explorationssysteme.

Orion war ursprünglich als „Crew Exploration Vehicle" Teil des Anfang 2004 von US-Präsident George W. Bush initiierten „Project Constellation", im Rahmen dessen man ganz neue Raketen und Schiffe bauen und damit bis 2014 die erste bemannte Mission durchführen wollte. „Hauptzweck wird, sein, Astronauten jenseits unserer Umlaufbahn zu anderen Welten zu bringen", sagte Bush damals.

In den Folgejahren lief viel schief, die Kosten explodierten, Techniker dachten zu kompliziert, und dann kam noch die weltweite Finanzkrise. 2010 wurde Constellation von US-Präsident Barack Obama gestoppt, aber schon 2011 - auch auf Druck seitens der Wissenschaft und Industrie - in abgeschlankter Form fortgesetzt. Vor allem werden die großen Startraketen (sie liefen unter dem Projektnamen „Ares") umkonstruiert und unter Rückgriff auf bewährte Systeme zusammengesetzt: Als „Space Launch System" besteht ihre erste Stufe schlicht aus modifizierten Haupt-Startraketen der 2011 ausgemusterten Space Shuttles, die Startbooster-Raketen sind modifizierte Boosters der Shuttles. Als zweite Stufe können solche der erprobten „Delta"-Rakete dienen oder eine, die von der guten alten „Saturn V"-Rakete des Apollo-Programms abgeleitet wird.
Wie gesagt, Kooperationen dieses Ausmaßes gab es noch nie - wenngleich die Chinesen ihre bemannten Raumschiffe der „Shenzhou"-Klasse von den russischen „Sojus"-Kapseln abgekupfert haben und Indien seine für die nächsten Jahre erwarteten bemannten Raumschiffe in Kooperation mit Russland bauen wird. Und wenn die USA just das Antriebsmodul - im Grunde das Herz und die Lunge eines Raumschiffs - den Europäern anvertrauen, so zeugt dies einerseits vom Vertrauen in Europas Technologie, aber auch den Sparzwang: Immerhin erspart sich die Nasa so die Konstruktion eines eigenen Antriebsmoduls.

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