Flach, komplex, vernetzt

Flach komplex vernetzt
Flach komplex vernetzt(c) University of Manchester
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Heimische Forscher sind an beiden nun bewilligten FET-Flagship-Projekten, den größten jemals in Europa gestarteten Forschungsvorhaben, beteiligt.

Graphen gilt als Wunderwuzzi unter den Materialien: Die einlagigen Schichten aus wabenförmig angeordneten Kohlenstoffatomen gelten als dünnste, stärkste und steifste Substanz mit der höchsten Leitfähigkeit für Wärme und Strom. Graphen hat das Potenzial, viele Industriezweige zu revolutionieren – etwa Mikroelektronik, Energiewirtschaft oder Maschinenbau. Das ganze Spektrum von der Grundlagenforschung über Produktionsmethoden bis zur industriellen Nutzung soll in dem diese Woche bewilligten FET-Flagship-Projekt „Graphene“ erforscht werden. Geleitet wird das zehnjährige, mit einer Milliarde Euro (zur Hälfte von der EU) dotierte Projekt von Jari Kinaret (TU Chalmers, Göteborg). Unter den 126 Partnern aus 17 Ländern sind auch heimische Gruppen, die von Thomas Müller (TU Wien) koordiniert werden.


Bessere Computer. Neben Wissenschaftlern sind auch zahlreiche Unternehmen beteiligt, unter ihnen auch der österreichische Batterienhersteller Varta. Müller selbst ist Spezialist für opto-elektronische Eigenschaften von Graphen – v.a. der Umwandlung von Licht in Strom. Dieser fotoelektrische Effekt läuft in Graphen viel schneller ab als in herkömmlichen Materialien, dadurch könnten Computer schneller, effizienter, kleiner und billiger werden, so Müller. „Heute haben viele Computer zwei oder vier Prozessorkerne. Wenn wir in Zukunft vielleicht mit dreihundert Cores arbeiten, ist ein gewaltiger Datenaustausch nötig. Diese Datenmengen optisch statt elektronisch zu übermitteln, hätte große Vorteile.“

Mit massiver Vernetzung und paralleler Datenverarbeitung hat auch das zweite FET-Flagship-Projekt viel zu tun: Beim „Human Brain Project“ geht es um nichts weniger als um das Verstehen unseres eigenen Gehirns. Dieses besteht aus rund 100 Milliarden Nervenzellen, die jeweils mit 10.000 anderen verbunden sind. Der Hauptzweck des Projekts, das von Henry Markram (ETH Lausanne) geleitet wird, ist es, diese immens komplexe Struktur im Computer nachzubauen – um dadurch ihre Funktionsweise zu verstehen. In der Startphase sind 87 Forschergruppen aus 20 Ländern beteiligt, viele von ihnen auch außerhalb Europas.

Die virtuellen Nervenzellen sollen im Computer nach denselben Prinzipien „wachsen“ wie in der Natur – dazu werden die Gesetzmäßigkeiten auf allen Ebenen modelliert: vom molekularen Maßstab über Zellen und Gewebe bis hin zum kompletten Nervensystem. Früchte davon werden v.a. in drei Bereichen erwartet: in den Neurowissenschaften, der Medizin (etwa Früherkennung und Behandlung von neurologischen Krankheiten) bis hin zum Supercomputing.

Einer der springenden Punkte dabei ist die Art der Informationsverarbeitung – die offensichtlich anders funktioniert als in Computern. „Wir müssen die Informationsverarbeitung neu denken“, sagt Wolfgang Maass (TU Graz), der das Arbeitspaket „Brain Computing Principles“ leitet. Im Gehirn sei die Verarbeitung stark verteilt, das Gehirn werde nicht programmiert, sondern lerne, und es fänden auch viele zufällige Prozesse statt. Die Forscher wollen daher die mathematische Logik durch sogenannte „probabilistische Inferenzen“ ergänzen.

Das umfassende Computermodell wird es erstmals ermöglichen, in den Neurowissenschaften gezielt Experimente mit neuronalen Schaltkreisen (in Robotern) durchzuführen – „eine Verknüpfung von Theorie und Experiment, wie sie etwa in der Physik normal ist“, so Maass. Geklärt werden soll zudem, ob sich die Arbeitsweise neuronaler Schaltkreise auf den Bau künftiger Computer übertragen lässt.

Am Human Brain Project ist auch eine zweite heimische Arbeitsgruppe von Anfang an beteiligt: Alois Saria (Med-Uni Innsbruck) managt das begleitende Doktoratsprogramm (für 500 bis 1000 interdisziplinär ausgebildete Jungforscher). Nach der 30-monatigen Startphase werden weitere Gruppen dazustoßen: Neurowissenschaftler um Peter Jonas (IST Austria) sowie Informatiker um Robert Trappl (Österr. Institut für Künstliche Intelligenz; OFAI) und Gerhard Reitmayr (TU Graz).

Die vier weiteren Projekte, die es in die letzte Runde der FET-Flagships geschafft hatten, gingen indes leer aus – darunter auch „IT Future of Medicine“ (ITFoM), an dem die Grazer Biobank um Kurt Zatloukal (Med-Uni Graz) federführend beteiligt ist. Diese Konsortien müssten nun im Wettbewerb mit anderen Projekten Forschungsmittel aus nationalen und EU-Töpfen einwerben, so die EU-Kommission.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2013)

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