Woher Hähermännchen wissen, was Häherweibchen wünschen

(c) Ljerka Ostojić
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Die Rabenvögel können die Bedürfnisse in den Köpfen der anderen lesen und haben damit in Ansätzen, was voll ausgebildet nur erwachsene Menschen haben: eine „theory of mind“.

Dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, versteht sich von selbst, warum sollte sie auch? Trotzdem tadelt der Mensch im Sprichwort ausgerechnet sie dafür. Natürlich meint er überhaupt nicht sie, sondern andere Menschen, eher unangenehme, aber wie kommen die Krähen zu der zweifelhaften Ehre? Offenbar weil sie schlau sind, so schlau wie wir, der Volksmund weiß es, und er weiß es nicht nur von ihnen: Die Elster ist diebisch, der Rabe klug, Odin lässt sich von seinen beiden – „Hugin“ und „Munin“, „Gedanke“ und „Erinnerung“ – über das Weltgeschehen auf dem Laufenden halten.

Sie alle gehören zur Familie der Rabenvögel (Corviden), dort sind auch die Häher Mitglieder. Vor allem sie haben in den letzten Jahren auch in den Labors der Verhaltensforscher gezeigt, dass sie in Fragen der Intelligenz mit unseren nächsten Verwandten gut mithalten können – sie bauen raffiniertere Werkzeuge als die Schimpansen –, vielleicht sogar mit uns. Mit wem? Jeder Mensch, der kein Kind mehr ist, sondern ein fertiger Mensch, weiß, dass es eine Außenwelt gibt und eine in seinem Kopf. Und er weiß, dass andere Menschen auch Welten in ihrem Kopf haben, er kann sich einfühlen und eindenken: Er hat eine „theory of mind“.

Letzte Grenze zwischen uns und anderen

Die ist schwer zu übersetzen, aber sie zieht die große – und letzte – Grenze zwischen den anderen und uns. Bei Affen hält diese Grenze (noch), aber die Rabenvögel setzen zum Überfliegen an, vor allem im Psychologenlabor von Nicola Clayton in Cambridge: Dort hat man früher schon bemerkt, dass Häher – nordamerikanische – Gedanken lesen können und Futter neu verstecken, wenn sie bemerken, dass sie beim ersten Verstecken von anderen beobachtet werden.

Ob sie wirklich deshalb neu verstecken oder aus Stress – weil die Anwesenheit des anderen nervt –, blieb allerdings umstritten. Deshalb ist Clayton nun einen Schritt zurückgegangen und hat gemeinsam mit Ljerka Ostojić – sie ist nach einem Studium in Wien zum Team in Cambridge gestoßen – getestet, ob Häher, wenn schon nicht Gedanken, dann doch Bedürfnisse und Wünsche lesen können. Diese Fähigkeit entwickelt sich bei uns früher – etwa im Alter von drei Jahren, in das Denken einfühlen können wir uns dann mit fünf, sechs –, und sie könnte in der Evolution der erste Schritt zur „theory of mind“ gewesen sein: Wir merken rasch, dass wir der Familie nicht jeden Tag das Gleiche auftischen können, die Gesichter werden lang, und irgendwann murrt jemand. – Die Häher tun das nicht, reden können sie denn doch nicht. Aber bei den Hähern – europäischen diesmal – ist es so, dass die Männchen die Weibchen erst beim Balzen und dann auch beim Brüten mit Zusatzfutter versorgen. Das nutzten die Forscherinnen: Sie gaben den Männchen eine ausgewogene Kost, Mehlwürmer (M) und Wachsmotten (W), gleich viele. Weibchen hingegen wurde der Tisch höchst einseitig gedeckt, entweder immer mit M oder immer mit W, bis es ihnen zum Hals hinaushing („satiation“).

Die Männchen durften beobachten, was die Weibchen bekamen, und dann endlich durften sie ihre eigenen Gaben auswählen und zu den Weibchen tragen: Sie richteten sich nach deren Wünschen, obwohl die Weibchen selbst nichts signalisierten, etwa verstärkt um M oder W bettelten; die Männchen konnten auch keine eigenen Präferenzen in die Weibchen projizieren, sie bekamen M und W, ihnen war gleich, was sie als Nächstes verzehren würden.

Abwechslung auf dem Tisch ist willkommen

Sie hatten nur zwei Informationen: Sie wussten, was das Weibchen in der letzten Zeit erhalten hatte, und sie hatten eigene, frühere Erfahrung mit dem, was „satiation“ bedeutet und welche Wünsche dieser Zustand hervorruft. Daraus schrieben sie den Weibchen einen Zustand zu („state-attribution“) und schlossen, dass Abwechslung auf dem Tisch willkommen ist (Pnas, 4. 2.).

Sind also Häher viel klüger als andere Tiere? Kann sein, muss aber nicht. Es kann auch sein, dass die Häher besonders sensibel und eindringlich erforscht werden und sich deshalb so viel bei ihnen findet.

Theory of Mind

Vieles, was der Mensch einst für sein Monopol hielt, hat sich inzwischen auch bei Tieren gezeigt, etwa der Gebrauch oder gar das Herstellen von Werkzeugen. Geblieben ist die Leistung, erstens zwischen einer Außenwelt und der Welt in den Köpfen (Vorstellungen, Wünsche, Gedanken) zu unterscheiden und sich zweitens in die Köpfe anderer einfühlen/denken zu können. Eine solche „theory of mind“ haben in Ansätzen auch die Häher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2013)

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