Anthropologie: Wann verschwanden die Neandertaler?

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Verfeinerte Datierungen deuten darauf, dass unsere Cousins 10.000 Jahre früher ausstarben als bisher vermutet. Das würde auch bedeuten, dass sie in Europa nie Kontakt mit unseren Ahnen hatten.

„Graue, haarige, wolfähnliche Ungetüme“ beherrschten Europa, als unsere Ahnen einwanderten. Dann gerieten sie aneinander: „Ungezählte Kämpfe und Verfolgungen, Mord und wilde Flucht gab es in den Höhlen und im Dickicht dieser eisigen, sturmgepeitschten Welt, bis endlich der letzte arme Grisly gestellt wurde und den Speeren seiner Verfolger voller Wut und Verzweiflung gegenüberstand.“ So stellte sich H.G.Wells 1921 in seinem Buch „The Grisly Folks“ – die schauerlichen Leute – das Ende der Neandertaler vor. War es so?

Nichts deutet darauf hin, nirgends haben sich Spuren von Gemetzeln gefunden. Also setzt eine andere Hypothese darauf, dass die Neandertaler verschwanden, weil sie der Eiszeit nicht gewachsen waren. Aber sie, deren Ahnen vor 500.000 Jahren nach Europa gekommen waren, hatten schon mehrere Eiszeiten überlebt; und die, die dann das Regime in Europa übernahmen, waren gerade erst aus dem warmen Afrika gekommen.

Den Neandertalern setzte die Kälte schon auch zu, sie zogen sich in den Süden zurück, am längsten hielten sie sich bei Gibraltar, dort verschwanden die letzten vor 35.000 Jahren. Zumindest das galt bisher als sicher, man hatte sorgsam datiert, mit der Radiokarbonmethode: Die baut darauf auf, dass das radioaktive Kohlenstoffisotop 14C – es ist in der Luft, im CO2 – von Pflanzen aufgenommen und eingebaut wird, so wie der nicht radioaktive Kohlenstoff auch. Man kennt seine Zerfallsrate und kann daraus das Alter von organischem Material bestimmen.

Verschmutzung durch jungen Kohlenstoff

Aber die Rechnung war ohne den Kohlenstoff gemacht, der auf Organisches kommt – auch Tierknochen –, wenn es längst fossiliert ist. „Gibt man nur ein Prozent modernen Kohlenstoff auf eine Probe, die 50.000 Jahre alt ist, bekommt man eine Datierung von 37.000 Jahren“, erklärt Rachel Wood (Canberra), „so empfindlich reagiert das Material auf Verschmutzung.“ Deshalb muss man es putzen, mit „Ultrafiltration“, entwickelt wurde die Methode von Thomas Higham an der Radiocarbon Accelerator Unit in Oxford.

Bei ihm hat Wood gelernt, und gemeinsam haben beide nun die spanischen Neandertaler neu datiert, aus Tierknochen und Asche. Aus elf Höhlen hat man Proben geholt, nur zwei waren verwertbar – bei der Ultrafiltration geht viel Material verloren –, sie zeigen ein Alter von 45.000 bis 50.000 Jahren (oder mehr, die Radiokarbonmethode kann nicht weiter zurückschauen), 10.000 mehr als bisher angenommen (Pnas, 5.2.).

Der Befund wird von manchen begrüßt, von anderen mit Skepsis aufgenommen – die zwei Höhlen lagen im Gebirge, dort wichen die Neandertaler der eiszeitlichen Kälte früh –, aber wenn er stimmt, dann waren die Cousins alles andere als schauerliche Leute. Denn dann waren sie schon weg, als Homo sapiens kam, vor etwa 40.000 Jahren. Aber in ihren Höhlen hat sich schon viel gefunden – Schmuck etwa –, was auf hohen Intellekt schließen lässt. Bisher erklärten manche das damit, dass die Neandertaler ihre höheren Leistungen bei Homo sapiens abgekupfert hätten. Aber der war ja noch gar nicht da.

Wie kommt es dann, dass zwei bis vier Prozent unserer Gene von ihm stammen? Unsere Ahnen sind ihm schon begegnet, folgenreich, aber nicht in Europa. Sondern im Nahen Osten, und dort viel früher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2013)

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