Zillertaler Volksmusik eroberte die USA

Zillertaler Volksmusik eroberte
Zillertaler Volksmusik eroberte(c) AP (STEPHAN TRIERENBERG)
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Durch Tiroler Gesangstruppen kamen ab 1840 das Jodeln und der vierstimmige Gesang in die amerikanische Popularmusik. Ein FWF-Projekt erforscht anhand der singenden »Rainer-Familie« die Anfänge der »österreichischen Nationalsänger«.

Wer denkt, dass Falco der erste Österreicher war, dem in den USA ein großer Hit gelang, der irrt. Denn schon Mitte des 19. Jahrhunderts waren österreichische Sänger in den USA erfolgreich. Und zwar fast 100 Jahre bevor die bis heute berühmteste singende Familie, die Trapp-Familie („Sound of Music“), nach Amerika auswanderte. „Die ersten, die nach Amerika gingen, waren höchstwahrscheinlich 1839 die Rainers aus Fügen im Zillertal“, erklärt Sandra Hupfauf vom Institut für Volkskultur und Kulturentwicklung in Innsbruck. Sie erforscht in einem FWF-Projekt (Leiter: Thomas Nußbaumer) die Geschichte der Tiroler Nationalsänger, die bisher von (österreichischen) Wissenschaftlern kaum wahrgenommen wurde.

Schon die Eltern und Onkeln (Anton, Felix, Franz, Josef und Maria Rainer) gingen ab 1824 in Europa singend auf Reisen. Damals entstand der Trend, dass Zillertaler Bergbauern in den Wintermonaten, da sie wegen verschneiter Almen arbeitslos waren, quer durch Europa reisten. „Anfangs waren die Bauern als reisende Händler tätig, um im Winter etwas zu verdienen: Sie verkauften hauptsächlich Handschuhe“, so Hupfauf. Doch irgendwann entdeckten die vifen Händler, dass ihnen die Kunden mehr Aufmerksamkeit schenkten, wenn sie Tiroler Volkslieder sangen. „Das kam irrsinnig gut an und bald war das Singen lukrativer als der Handel mit Handschuhen.“

Belege aus Archiven zeigen, dass zu den ersten singenden und reisenden Tirolern die Strasser-Familie zählte, die um 1825 über den deutschen Raum bis Skandinavien zog. „Es gibt einen Beleg im Leipziger Tagblatt, dass die Strassers im Dezember 1832 in Leipzig ,Stille Nacht‘ sangen“, so Hupfauf. Das ist nur einer von vielen Hinweisen, dass österreichische Nationalsänger für die weltweite Verbreitung des Salzburger Weihnachtsliedes verantwortlich sind. Kurz darauf begab sich die Rainer-Familie auf Tour und kam bis England, wo viele ihrer Lieder auch übersetzt wurden.


Liebe und Heimat. „Die Lieder waren schon damals richtige Schlager. Aber weil es sich hier nicht um traditionelle Volksmusik handelt, wurde das Thema von heimischen Musikwissenschaftlern nie erforscht“, erläutert Hupfauf. Denn wer würde schon Hansi Hinterseer oder Zillertaler Schürzenjäger wissenschaftlich untersuchen? Der einzige Hobbyforscher, der darüber ein Büchlein herausbrachte, war der Heimatforscher Martin Reiter aus dem Zillertal.

Die Lieder ähneln dem, was heute unter volkstümlicher Musik bekannt ist: Jodeln war ein wichtiger Bestandteil, in den Texten ging es meist um Liebe und Heimat, als Outfit war anständige (teils aufgemotzte) Trachtenkleidung ein Muss. Und damals wie heute begeisterte diese Art der volkstümlichen Musik tausende Menschen, vor allem im Ausland. „Nach der Schlacht am Bergisel 1809 ging die Legende von Andreas Hofer, der gegen Napoleon wie David gegen Goliath kämpfte, quer durch Europa. Dadurch boomte das Interesse am Tiroler Leben, was den Tiroler Nationalsängern schnell zu großer Bekanntheit verhalf.

Der in der Alpenregion verbreitete vierstimmige Gesang eroberte die Welt. „In Europa wurden die Tiroler Sänger in Fürstenhöfe geladen, wo sie vor kleinerem Publikum auftraten. Nach jedem Auftritt gab es Empfehlungsschreiben, was ihnen weitere Einladungen in andere bürgerliche Salons einbrachte“, sagt Hupfauf.


Einfluss auf Popmusik. Das FWF-Projekt konzentriert sich auf die Rolle der Rainer-Familie, da diese anscheinend den Tiroler Viergesang in Amerika berühmt machte – was wiederum Einfluss auf die dortige Popularmusik hatte. Die zweite Generation der singenden Rainer-Familie bestand nur mehr aus zwei gebürtigen Rainers (Helene und Ludwig), Simon Holaus und Margareta Sprenger vervollständigten die Gesangstruppe (die sich trotzdem „Rainer Family“ nannte). Seit die Tiroler Volkslieder vom Klaviervirtuosen Ignaz Moscheles ins Englische übersetzt worden waren, eroberte die Gruppe den englischsprachigen Raum: „Die Rainers haben auf Windsor Castle gesungen. Es gibt Programme vom britischen Hof, und Queen Victoria erwähnt den Auftritt in ihrem Tagebuch.“

1839 begann die große Tournee in Amerika (Ludwig Rainer war gerade erst 18), die bis 1843 dauerte. Dort wurde das Business professionell aufgezogen, die Rainers hatten einen Tourmanager, der kleinere Räume mietete. Die Auftritte wurden über Eintrittsgelder finanziert.

„Gestartet wurde in Boston, später ging es nach New York, wo sie dem Anschein nach am Heiligen Abend 1839 vor dem Hamilton Monument ,Stille Nacht‘ gesungen haben. Dann zogen sie in die Südstaaten“, weiß Hupfauf aus amerikanischen Quellen. „Wir wussten lange nicht, wie gut dies alles in Amerika dokumentiert ist.“ Erst durch die Digitalisierung von Archiven entdeckten die Forscher Ankündigungen und Musikschriften dieser Zeit. „Amerikanische Musikwissenschaftler sind sich einig, dass die Tiroler Nationalsänger erstmals das Jodeln in die USA brachten. Dort wurde es bis in die Country Musik überliefert: als Country Yodel“, so Hupfauf. Auch der vierstimmige Gesang war in dieser Weise in der amerikanischen Kultur nicht vertreten, danach findet man ähnliche Harmonien z.B. in den Urformen des heutigen Barbershop-Gesanges. „Es gab auch viele amerikanische Nachahmer-Ensembles, die im Stil der Rainer-Family gesungen haben“. Auch Tiroler Familien häuften sich, die in Amerika ihr Glück suchten und durch Gesangsreisen gut leben konnten.


Musik wird zu Business. In erhaltenen „Hitlisten“ der meistverkauften Musikdrucke zählen Rainer-Lieder sogar zu den Top drei. Nach 1850 entstand hier ein richtiges Musikbusiness, dessen Strukturen – 100 Jahre später – auch der Trapp-Familie zu Erfolg verhalfen. „Die Trapps waren wohl die letzte der singenden österreichischen Familien.“ Durch „Sound of Music“ ist das Phänomen bis heute im amerikanischen Kulturgedächtnis höchst präsent. Doch Hupfauf fand bereits filmreife Szenen aus dem Leben der Rainer-Familie: Laut Hugo Klein (Musikforscher, 1928) heiratete die Sopranistin Helene Rainer 1840 heimlich den amerikanischen Tourmanager und verließ die Gesangstruppe. Ihr Cousin Ludwig engagierte nach diesem „Skandal“ einen jungen Iren und nannte die Truppe „Lewis Rainer and Company“. In den Ankündigungen der Shows steht aber trotzdem weiterhin „Rainer Family“.

Das Forschungsprojekt läuft noch drei Jahre, Hupfauf wird in weiteren Archiven stöbern, amerikanische Bibliotheken online durchforsten und auch das Heimatmuseum in Fügen im Zillertal besuchen, wo Reisebücher und kleine Alltagsgegenstände der Rainer-Familie lagern. „Auch die Suche nach dem seit 1989 verschollenen Amerika-Tagebuch von Ludwig Rainer geht weiter.“ Wenn alles klappt, sollen schließlich die Hits der singenden Familie auf CD aufgenommen werden. „Ob wir uns an die traditionelle Gesangsweise halten oder die Lieder von jungen Gruppen der Volksmusik neu interpretieren lassen, ist noch nicht klar. Es fehlen noch Sponsoren für die CD-Produktion“, sagt Hupfauf.

In Zahlen

1824 zog die erste Generation der Rainer-Familie, Bergbauern aus dem Zillertal, in den Wintermonaten singend durch Europa.

1839 wanderten ihre Kinder und Neffen nach Amerika aus:
Die mehrjährige Gesangstournee war ein Erfolg – mit vielen Nachahmern.

Top drei: Einzelne „Hitlisten“ der 1850er-Jahre zeigen, dass Musikdrucke der Rainer-Lieder zu den drei meistverkauften zählten.

1938 emigrierte die Familie Trapp aus Salzburg in die USA: Der Erfolg ihrer Gesangstourneen basiert auf dem Musikbusiness, das 100 Jahre zuvor die Tiroler Familiensänger aufgebaut hatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2013)

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