Zu viel und zu wenig Dünger

viel wenig Duenger
viel wenig Duenger (Erwin Wodicka - wodicka@aon.at)
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Der Mensch greift massiv in den Stickstoffkreislauf der Erde ein. Dadurch kann zwar mehr Nahrung produziert werden, das hat aber viele unliebsame Folgen für die Umwelt. Forscher schlagen nun Maßnahmen vor, um die Ungleichgewichte zu reduzieren.

Ohne Sonne gibt es kein Leben auf der Erde: Die Energie, die von unserem Zentralgestirn kommt, ist die Triebkraft zur Bildung von Biomasse mit all jenen Molekülen, die Pflanzen, Tiere und Menschen zum Leben benötigen – und aus denen wir alle bestehen. Das allein ist aber zu wenig: Damit Pflanzen- oder Muskelmasse gebildet werden kann, sind auch Nährstoffe notwendig – von Spurenelementen über Eisen, Kalium, Zink oder Phosphor bis hin zu Stickstoff. Letzterer war in (fast) allen Epochen der Menschheitsgeschichte jener Faktor, der das Wachstum am stärksten begrenzt hat.

Die einzigen Methoden zur Produktionssteigerung waren lange Zeit, die Flächen auszuweiten (etwa durch Roden von Wäldern oder Trockenlegen von Sümpfen) oder regelmäßig zu wechseln (z.B. Dreifelderwirtschaft). Zusätzlich erkannten die Landwirte, dass Exkremente von Mensch und Tier die Bodenfruchtbarkeit erhöhen. Eingesetzt wurde bisweilen auch mineralischer Dünger (Chilesalpeter). Auf diese Zwänge mussten die Menschen reagieren: Sie entwickelten ein System von räumlich und zeitlich wechselnden Wirtschaftsformen, die wiederum auf die Natur zurückwirkten. Dieser innige Zusammenhang zwischen Umwelt und Gesellschaft wird mit dem Schlagwort „soziale Ökologie“ zusammengefasst (siehe Artikel rechts unten).

Ganz anders wurde die Lage Ende des 19.Jahrhunderts: Zuerst wurden gezielt Pflanzen, die auf natürliche Weise Luftstickstoff einfangen („Stickstofffixierung“), angebaut. Und dann kam „Kunstdünger“ auf – nach der Erfindung des Haber-Bosch-Verfahrens, bei dem Luftstickstoff und Wasserstoff bei hohen Temperaturen und Drücken zu Ammoniak reagieren. Ein riesiger Fortschritt: Während auf natürlichen Böden nur zwei Tonnen Weizen pro Hektar wachsen, sind es mit Dünger acht bis zehn Tonnen.

Das war (neben besseren Pflanzensorten und der Mechanisierung) auch der Kern der „Grünen Revolution“: In den letzten 50 Jahren ist der weltweite Stickstoffeinsatz um das Neunfache gewachsen (nur in Europa gab es zuletzt einen leichten Rückgang). Global ermöglichte das die Zurückdrängung von Hunger und ein sprunghaftes Anwachsen der Bevölkerung – Schätzungen zufolge könnten ohne Düngung nur halb so viele Menschen auf der Erde leben.

Das hat aber einen Preis: Denn nur ein Teil des eingebrachten reaktiven Stickstoffes – als Ammoniak (NH3) bzw. Ammonium-Ionen (NH4+) oder als Nitrat (NO3-) – wird von den Pflanzen verwertet. Der Rest beeinträchtigt Böden, das Grundwasser, Flüsse, Seen, das Meer sowie die Atmosphäre. Beziffert wird das in der kürzlich vom UN-Umweltprogramm Unep veröffentlichten Studie namens „Our Nutrient World – The challenge to produce more food and energy with less pollution“, an der auch die beiden österreichischen Forscher Zbigniew Klimont (Internat. Institut für angewandte Systemanalyse IIASA in Laxenburg) sowie Wilfried Winiwarter (Uni Graz und IIASA) mitgearbeitet haben. Demnach werden im weltweiten Durchschnitt in der Pflanzenproduktion nur rund 30Prozent des ausgebrachten Stickstoffes genutzt. Berechnet man die Effizienz auf Basis der gesamten Ernährung – also inklusive Fleischkonsum –, dann werden unterm Strich sogar weniger als 20 Prozent des Stickstoffes genutzt.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen der in einem Staat ausgebrachten Stickstoffmenge und der Effizienz der Nutzung: In vielen Ländern, wo Stickstoff knapp ist (unter zehn Kilo pro Kopf und Jahr), wird dieser effizient genutzt. In vielen Staaten, wo Düngemittel im Überfluss vorhanden sind (70 Kilo und mehr), geht man hingegen ziemlich sorglos mit ihm um. Von dieser Regel gibt es zahlreiche Ausnahmen, eine von ihnen ist Österreich, wo vergleichsweise sorgsam mit Stickstoffdünger umgegangen wird.

Zusätzlich hat der Mensch noch eine zweite Stickstoffquelle „geschaffen“: Das Verbrennen von Energieträgern bei höheren Temperaturen – etwa in Dieselmotoren – führt zur Bildung von Stickoxiden (NOx). Die Mengen sind beträchtlich, sie machen ein Fünftel der gesamten menschengemachten Stickstoffmenge aus.


Reaktionskaskade. Die Stickstoffatome durchlaufen eine ganze Kaskade von Reaktionen mit Folgewirkungen auf die Ökosysteme. Wie komplex die Zusammenhänge sind, fasst der Bericht in einem Bild zusammen (siehe Grafik): In grün sind die natürlichen Stickstoffflüsse eingezeichnet, in blau die vom Menschen beabsichtigten Wirkungen des zusätzlich eingebrachten Stickstoffes, in orange die unbeabsichtigten Wirkungen (bzw. durch den Menschen veränderte natürliche Abläufe). Die Stickstoffkaskade in Kurzfassung: Durch Stickstoff im Dünger und in den Niederschlägen nimmt die Fruchtbarkeit zu. Überschüssiger Stickstoff kann im Boden aber nur eingeschränkt gespeichert werden – Böden mit hohem Humusanteil sind bessere Puffer, daher ist Stallmist vorteilhafter als „Kunstdünger“. Die Folgen sind eine Versauerung des Bodens, Veränderungen der Mikroorganismenflora und ein Sinken der Biodiversität.

Die Moleküle sind sehr mobil: Zum einen werden sie in das Grundwasser ausgewaschen, wo sie Nitrat-Probleme im Trinkwasser verursachen, aber auch eine Eutrophierung (Überdüngung) von Gewässern, die sich u.a. durch Algenblüten oder Fischsterben bemerkbar macht. Das gilt insbesondere für Meere in Küstennähe.

Zum anderen gasen die Böden Stickstoffverbindungen aus – insbesondere Ammoniak und Lachgas (N2O). Letzteres ist als Treibhausgas 300-mal wirksamer als Kohlendioxid (CO2). Lachgas wird für ungefähr zehn Prozent der Klimaerwärmung verantwortlich gemacht – ein Problem ist etwa, dass die CO2-sparende Wirkung von Biosprit durch N2O zunichtegemacht werden kann, wenn die Rohstoffe zu stark gedüngt werden. Auch Stickoxide, die bei der Feinstaub- und Ozonbildung eine Schlüsselrolle spielen, sind klimatisch wirksam: NOx ist eine der wichtigsten Zutaten für Aerosole und damit für die Wolkenbildung. Unterm Strich nehmen Klimaforscher heute an, dass die Stickstoff-Emissionen eine kühlende Wirkung haben – allerdings gibt es dabei noch viele Wissenslücken.

In allen Ökosystemen gibt es zudem Mikroorganismen (oft vergesellschaftet mit Pflanzen), die die verschiedenen chemischen Formen des Stickstoffes ineinander umwandeln können. Der vom Menschen eingebrachte Stickstoff wird irgendwann wieder in Luftstickstoff verwandelt („Denitrifikation“) oder in Mineralien abgelagert. Wie schnell diese Reaktionen ablaufen, ist derzeit äußerst unklar – die Werte in der Grafik sind zum Teil grobe Schätzungen.

Aber nicht nur ein Zuviel von Stickstoff hat unliebsame Folgen: Agrarisch genutzte Flächen leiden auch unter einem Mangel. Dass dennoch Nahrung auf ihnen produziert werden muss, führt zu einer Abnahme des Humusgehalts, dadurch sinkt die Bodenqualität, der Boden wird anfällig für Erosion.

Die Kernaussage des Berichts ist, dass der Nährstoffkreislauf durch den menschlichen Eingriff aus der Balance geraten ist – und eine Verbesserung nur durch die Steigerung der Effizienz im Nährstoffeinsatz möglich ist. Bis zum Jahr 2020 solle die Effizienz um 20 Prozent gesteigert werden. Das würde bedeuten, dass 20 Mio. Tonnen reaktiver Stickstoff weniger ausgebracht werden müssten (derzeit sind es 120 Mio. Tonnen). Die Vorteile des effizienteren Umganges für Gesundheit, Biodiversität und Weltklima werden mit 35 bis 300 Mrd. Euro pro Jahr bewertet.


Mehr Recycling. Die Experten drängen auf ein verstärktes Recycling der Nährstoffe. Etwa durch gezieltere Verwertung von Stallmist oder Gülle, u.a. durch eine engere (auch räumliche) Verbindung von Pflanzenbau und Tierhaltung. Zudem solle vermehrt Stickstoff aus dem Abwasser verwertet werden – früher wurden z.B. die menschlichen Exkremente vollständig genutzt, heute fließen sie über das WC ab. Als Langzeitziel wird die Verwertung von NOx aus Verbrennungsprozessen genannt – ein Wert von 30 Mrd. Euro jährlich. Es geht aber auch um einen zielgerichteteren Einsatz des Düngers. Derzeit wird üblicherweise einmal im Jahr gedüngt – und zwar so viel, dass die Pflanzen unter allen Umständen ausreichend versorgt sind. Eine auf die Bodenqualität, die lokalen Klimabedingungen, die angebauten Feldfrüchte und die Tiere, die damit gefüttert werden, abgestimmte Düngung könnte viel Stickstoff sparen. Für Österreich wird die Situation derzeit in dem vom Österreichischen Klimaforschungsprogramm ACRP finanzierten Projekt „FarmClim“ studiert, in dem Forscher der Boku Wien, der Uni Graz, des Umweltbundesamts und Agrarexperten kooperieren.

Ein weiterer Punkt in der Liste zur Effizienzsteigerung des Nährstoffeinsatzes hat unmittelbar mit dem Menschen zu tun: Vorgeschlagen wird eine Verringerung des persönlichen Konsums von tierischem Eiweiß. Denn 80 Prozent der eingesetzten Nährstoffe dienen nicht der menschlichen Ernährung, sondern jener von Tieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2013)

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