Aids: Nach 30 Jahren erstmals geheilt?

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Aids: Nach 30 Jahren erstmals geheilt?JOHNS HOPKINS MEDICINE HANDOUT
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In den USA soll zum ersten Mal ein Mensch von dem Virus befreit worden sein, das 1983 entdeckt wurde und bisher nicht aus infizierten Körpern hinaus zu bringen war. Allerdings bleiben Experten skeptisch.

Irgendwo im US-Bundesstaat Mississippi kam im Herbst 2010 eine Schwangere mitten in den Wehen in ein Spital, die Geburt verlief gut, Mutter und Kind waren wohlauf. Aber noch während der Geburt testeten die Ärzte das Blut der Mutter auf HIV: Die Frau hatte das Virus – sie hatte nichts davon gewusst –, das Baby hatte es wohl auch, Tests bestätigten den Verdacht. Deshalb griffen die Ärzte zu einem außergewöhnlichen Mittel und therapierten das Baby 31 Stunden nach der Geburt mit dem antiviralen Cocktail, mit dem Aids-Kranke heute ein ganz normales Leben führen können.

Die Virenbelastung sank, bald wurde nichts mehr entdeckt, die Ärzte therapierten weiter. Mutter und Kind verließen das Spital, nach 18 Monaten setzte die Mutter die Medikamente des Babys ab. Erst als es 21 Monate alt war, kam sie wieder in das Hospital. Die Ärzte erwarteten das Schlimmste – man darf die Therapie nicht abbrechen, die Viren kehren sonst zurück – und maßen bei dem Kind die Virenzahl. Sie fanden – fast nichts. Das sei „der erste gut dokumentierte Fall“ der Heilung eines infizierten Babys, berichtete Kinderärztin Deborah Persaud (Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health) am Sonntag bei einer Retroviren-Konferenz in Atlanta. Antonio Fauci, als Direktor des National Institute of Allergy and Infection Diseases die höchste Aids-Autorität der USA, stimmte zu: Es sei ein „sehr wichtiger Nachweis der Machbarkeit“ einer Therapie an Neugeborenen. Zumindest sei es das dann, wenn es sich in weiteren Fällen bestätige.

„Ich traue dem Frieden nicht“

„Ich traue dem Frieden nicht“, mahnt hingegen Norbert Vetter (Otto-Wagner-Spital, Wien), Pulmologe und Österreichs oberste HIV-Autorität: „Es ist viel zu früh, Konsequenzen abzuleiten. Das Virus könnte noch in ,sanctuaries‘ – Zufluchtsstätten – ruhen, im Gehirn und/oder dem Lymphsystem.“ Diese Strategie des zeitweiligen Rückzugs in bestimmte Körperregionen und in die eigene Inaktivität ist eine der vielen bösen Überraschungen, die das HI-Virus zeigte, seit es 1983 von Luc Montagnier identifiziert und später HIV, „human immunodeficiency virus“, genannt wurde.

Seine Folgen hatte es zwei Jahre zuvor gezeigt, an ganz unterschiedlichen Orten: In Uganda kamen Frauen in Kliniken, die so dünn waren, dass die Ärzte sie bzw. ihr Leiden schlicht „Slim“ nannten; später tauchten auch in San Francisco ausgemergelte Gestalten auf, Männer: Schwule und „Fixer“. Die dortigen Ärzte nannten es Aids („acquired immunodeficiency syndrome“). Und da das Leiden nun im Westen war, zog es Aufmerksamkeit auf sich und behielt den Namen.

Dann ging es zunächst rasch, die Hoffnungen waren hoch. Das Virus wurde charakterisiert, erst von Montagnier, dann auch vom US-Amerikaner Robert Gallo, und man war zuversichtlich, bald einen Impfstoff entwickeln zu können, mit dem man dem Körper helfen könnte, den Krankheitserreger zu beseitigen. Gelungen ist das bis heute nicht: Heilbar in dem Sinn, dass das Virus aus einem infizierten Körper wieder vertrieben werden kann, ist Aids nicht. Deshalb ist die Suche nach Impfstoffen beinahe zum Erliegen gekommen, Vetter sieht auch „keine Ansätze, die ein neues Konzept zeigen“.

Ganz vernichtet sind die Viren nicht

Aber man kann mit Aids leben, so ähnlich wie mit Diabetes, es gibt Medikamente, die die vormals rasch tödliche Krankheit in eine chronische verwandelten: Erst kam AZT, dann gab es weitere Wirkstoffe. Ein Cocktail aus ihnen drückt die Virenbelastung auf Dauer herab, möglicherweise richtet er über Jahrzehnte hinweg auch alle Viren zugrunde. Manche vermuten es, aber man weiß es nicht, und bei dem Kind in den USA weiß man es schon gar nicht. Deshalb sprach selbst Persaud vorsichtig davon; es handle sich um eine „functional cure“ – bei der das Immunsystem des Kindes irgendwie die Oberhand über die Viren erhalten und behalten habe –, nicht um eine „sterilizing cure“, bei der die Viren vernichtet wurden.

Immerhin, der bisherige Therapieerfolg belegt für Vetter, „wie effizient die antivirale Therapie ist.“ Aber absetzen möge sie bitte niemand, und Schwangere sollten – anders als die werdende Mutter in den USA – Bescheid wissen über ihren HIV-Status. Bei Bedarf brauchen sie während der Schwangerschaft eine Therapie, und nachher dürfen sie ihr Kind nicht stillen: „Dann bleibt das Kind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von HIV verschont“, versichert Vetter, in Österreich ist das Gegenteil bisher nur ein oder zwei Mal passiert.

Bleibt ein einziger Mensch, der bisher doch von HIV befreit werden konnte, der „Berliner Patient“. Aber er war ein Sonderfall, und seine Heilung war ein unabsichtlicher Nebeneffekt: Er hatte außer Aids Leukämie und bekam deshalb über eine Knochenmarkspende ein neues Blutsystem. Und der Spender hatte eine höchst rare Genvariante, die von Natur aus immun macht gegen HIV.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2013)

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