Höchststrafe für ein Wunschverbrechen

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Ein New Yorker Polizist könnte nach Kannibalismus-Fantasien im Internet zu "lebenslänglich" verurteilt werden. Wird er für seine Gedanken bestraft? Wann wird aus einem imaginierten ein echtes Verbrechen?

In Orwells Roman „1984“ ist es das Kapitalverbrechen, und man braucht keinen Finger zu rühren, um es zu begehen: „Gedankenverbrechen zieht nicht den Tod nach sich, Gedankenverbrechen ist der Tod“, schreibt die Hauptfigur. Mit Psychotechniken, Manipulation und Überwachung, die selbst kleinste mimische Regungen registriert, kontrolliert die „Gedankenpolizei“ das Innenleben der Bürger.

In Zeiten von Hirnscans, der Suche nach „Verbrechergenen“ und der Entwicklung von „Precrime“-Abteilungen zur Verbrechensvorbeugung muten die bei Orwell beschriebenen Techniken trotzdem altmodisch an. Orwells „Großer Bruder“ hätte es heute viel leichter, und das Internet wäre eines seiner Hauptwerkzeuge. In vor Kurzem noch unvorstellbarem Ausmaß geben Menschen darin Privates über sich preis. Wie weit dürfen diese Daten zur Strafverfolgung genutzt werden? Und wo liegt die Grenze zwischen in Chatrooms gewälzten Fantasien und strafrechtlich relevanter Realität?

Wollte er wirklich Frauen verspeisen?

Ein makabrer Fall in Amerika zeigt dieser Tage, wie schwierig die Grenze zu ziehen ist. Am Dienstag wurde ein 28-jähriger New Yorker Polizist und Familienvater von den Geschworenen für schuldig befunden und könnte nun zu lebenslänglicher Haft verurteilt werden. Er habe geplant, seine Ehefrau und mehrere andere junge Frauen zu kidnappen, zu foltern und zu verspeisen. Die Ehefrau des Angeklagten hatte den Fall ins Rollen gebracht, sie spionierte seinen Computer aus und übergab ihn dann der Polizei.

Darauf fand das FBI ausführliche Kannibalismus-Konversationen mit anderen Nutzern, in denen genüsslich erörtert wurde, wie man Frauen entführen und zubereiten könnte. Google-Suchanfragen des Polizisten lauteten etwa „How to tie up a girl“ oder „Eat her for dinner cannibalism“.

Solch grausige Subkulturen gibt es viele im Internet, die Frage ist: Hätte der Mann seine Fantasien auch in die Tat umgesetzt? „Man verfolgt nicht Menschen wegen ihrer Gedanken“, protestierte die Verteidigerin. Tatsächlich gab es so gut wie keine Hinweise darauf, dass der Polizist außerhalb des Computers etwas unternommen hätte. Er habe mit seinen Gesprächspartnern konkrete Pläne geschmiedet, argumentiert die Anklage. Aber auch diese Detailfreude könnte nur dazu gedient haben, die Fantasien noch aufreizender zu machen.

„Die Tat ist versucht, sobald der Täter seinen Entschluss, sie auszuführen, durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt“, heißt es im österreichischen Strafgesetzbuch. Im Fall des kannibalistisch veranlagten Polizisten konnte von „unmittelbar vorangehender Handlung“ keine Rede sein. Auch der US-Amerikaner Brandon Raub bekam 2012 zu spüren, wie gefährlich es sein kann, im Internet zu posten. Er wurde verhaftet (und wieder freigelassen), weil er auf seinem Facebook-Account die offizielle Version der Anschläge von 9/11 infrage gestellt und davon gesprochen hatte, „eine Revolution zu starten“.

„Precrime“ und der freie Wille

Das Problem ist bekannt: Je mehr Daten vorhanden sind, desto mehr neigt man, sie zur Verbrechensvorbeugung einzusetzen. Eigene Precrime-Abteilungen in den USA und auch Ländern wie Deutschland widmen sich der Frage, wie man Straftaten verhindern kann, bevor sie begangen werden. Dazu braucht es viele Daten. So überlegte man kürzlich in der Obama-Regierung, dem National Counterterrorism Center Zugang zu den Daten aller staatlichen Behörden über alle US-amerikanischen Bürger zu gewähren. Abgesehen von der Frage des Datenschutzes, die schon die Rasterfahndung problematisch machte, wirft die Methode große Probleme auf: Wann wird ein Gedanke zum Entschluss? Ab wann ist ein noch nicht ausgeführtes Verbrechen strafbar?

Die bekannteste Vision einer der Verbrechensvorbeugung gewidmeten Gesellschaft stammt von Philip K. Dick. Seine 1956 entstandene Kurzgeschichte „The Minority Report“ wurde 2002 von Steven Spielberg verfilmt. Tom Cruise spielt darin den Washingtoner Polizisten John Anderton, der für die Abteilung PreCrime arbeitet. Sie verhindert seit Jahren erfolgreich künftige Morde mithilfe dreier hellseherischer Menschen, den Precogs. Erst als die Precogs einen von Anderton begangenen Mord voraussehen, findet dieser heraus, dass die Visionen nicht völlig fehlerfrei sind: Manchmal gebe es einen (von den Behörden unterdrückten) „Minderheitsbericht“ eines der Precogs, der anderes als die übrigen zwei voraussehe. Grund dafür ist, dass die Precogs auch Situationen voraussehen, in denen ein Mord zwar wahrscheinlich ist, aber dann doch nicht stattfindet. Das heißt, dass jahrelang auch Personen verhaftet wurden, die die Morde letztendlich nicht ausgeführt hätten.

Jeder kann bis zuletzt anders entscheiden

Die antideterministische Botschaft der Geschichte lautet, dass jeder Mensch sich bis zuletzt anders entscheiden kann. „Der Täter wird wegen des Versuches nicht bestraft, wenn er freiwillig die Ausführung aufgibt“, auch das ist österreichisches Gesetz. Ein Mensch, der mit einer Pistole in eine Bank hineingeht und dann doch wieder herauskommt, ohne sie gezogen zu haben, kann nicht bestraft werden.

Natürlich kann man nicht immer warten, bis ein Verbrechen begangen wird. Aber dass Menschen verhaftet werden, bevor sie eine Straftat begangen haben, die sie vielleicht nie begangen hätten, löst zu Recht allgemeines Unbehagen aus. In den letzten Jahren häufen sich die gefährlichen Präzedenzfälle dazu – der Schuldspruch im Kannibalismus-Prozess ist einer davon.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2013)

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