Schlingende Salamander

Schlingende Salamander
Schlingende Salamander(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka)
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Riesensalamander verschlingen eine Forelle in Hundertstelsekunden. Dieses "Saugschnappen" war wichtig für die Entwicklung der Zunge.

Die Tiere sehen aus wie Flussmonster: Riesensalamander werden knapp zwei Meter lang und können 50 Kilogramm wiegen. Sie sind Amphibien wie Frösche, Kröten und Feuersalamander, verbringen aber ihr ganzes Leben im Wasser. „Die Tiere sind evolutionär sehr alt: Seit 160 Millionen Jahren hat sich ihr Aussehen, ihre Anatomie kaum verändert“, erklärt Egon Heiss, Zoologe der Uni Wien.

Genau darum untersuchte er mit Kollegen der Vet-Med-Uni und aus Antwerpen die Nahrungsaufnahme der Riesensalamander: Denn die ältesten lebenden Amphibien zeigen uns, welche Veränderungen für den Schritt vom Wasser auf das Land notwendig waren (J. Royal Society Interface, 6.3.).

Konkret geht es um das Fangen von Fischen (oder Krebsen) durch „Saugschnappen“: Bei Fischen funktioniert das so, dass sie den Kiemen- und Rachenbereich stark aufblähen, wodurch das Umgebungswasser schnell in das Maul einströmt und mit dem Wasser auch das gewünschte Beutetier. „Vor einigen Jahren konnten Forscher aus den USA zeigen, dass der amerikanische Riesensalamander das Saugschnappen durch eine ganz andere Biomechanik bewerkstelligt. Wir haben nun die chinesischen Riesensalamander untersucht, die ebenso zu den ursprünglichsten Amphibien zählen und die größten Vertreter innerhalb der Riesensalamander sind“, sagt Heiss.

Sie gehören auch zu den seltensten Amphibien der Welt: Außerhalb von China ist es erst einmal gelungen, diese Riesensalamander in Gefangenschaft zu züchten, und auch in Chinas Flüssen werden sie immer seltener.

Glücklicherweise gibt es in Wien drei lebende Exemplare: Zwei im Tiergarten Schönbrunn (nicht als Ausstellungstiere, sondern zur Arterhaltung und Nachzüchtung) und eines im Haus des Meeres. „Wir durften diese Tiere filmen und fanden erstaunliche Neuigkeiten“, sagt Heiss. Die Videokameras waren Spezialanfertigungen mit einer zeitlichen Auflösung von 2000 bis 6000 Bildern pro Sekunde (normale Filme haben 25 Bilder pro Sekunde), damit man den enorm schnellen Vorgang des Beutefangs abbilden konnte. Zehn bis 14 Zentimeter große Stücke von Forellen und Rotaugen wurden den Riesensalamandern vor die Nase gehalten, dann wurde gefilmt, wie das Saugschnappen im Detail funktioniert. „Zusätzlich ist in der Zoologischen Sammlung der Uni Wien ein konservierter Riesensalamander vorhanden, an dem wir die Anatomie durch Computertomografie untersuchen konnten.“


Zum Leben erweckt. Die Bilder der High-Speed-Videoaufnahmen und die der Kopf-, Kehl- und Halsanatomie aus dem CT wurden anschließend kombiniert, sodass das „tote Tier im Computer zum Leben erweckt wurde“. Mit neuartiger Software (numerische Strömungsmechanik) wurde nicht nur dargestellt, wie sich die Maul- und Rachenpartie der Tiere beim Zuschnappen bewegt, sondern auch, wie sich das Wasser dabei verhält: „In einer Zehntelsekunde fließen 1,2 Liter Wasser in den Rachen der Salamander“, berichtet Heiss: „Eine ausgewachsene Forelle kann in fünf Hundertstelsekunden im Rachen des Riesensalamanders verschwinden.“ Der Unterdruck im Maul wird nicht durch Bewegung der Kiemen erzeugt – denn erwachsene Salamander besitzen keine Kiemen. Sie reißen einfach den Ober- und Unterkiefer in hoher Geschwindigkeit auseinander, um das Einströmen des Wassers (und der Nahrung) zu erzeugen.

„Die Beute flitzt mit einer vier- bis sechsfachen Erdbeschleunigung in das Maul: Solche Beschleunigungen kommen beim Start von Raketenautos zustande!“ Die Zoologen vermuten nun, dass dieser Mechanismus des Saugschnappens ein wichtiger Schritt war, bevor Amphibien zu Urzeiten das Land erobern konnten.

Denn die Kiemenstrukturen, die Fische benutzen, um das Wasser und die Beute ins Maul zu saugen, sind bei uns Landwirbeltieren (stark umgebaut) im Zungenapparat vorhanden. „Wer an Land frisst, braucht unbedingt eine Zunge, um die Nahrung zur Speiseröhre zu befördern“, sagt Heiss. Versuchen Sie einmal, ohne den Einsatz der Zunge Essen zu schlucken. Aus dem Saugapparat der Fische kann sich also nicht direkt die Zunge gebildet haben: Die Übergangsformen wären entweder im Wasser ohne Saugschnappen oder an Land ohne Zunge verhungert.

Die neue Technik der Amphibien, das Wasser durch Öffnen des Mauls anzusaugen, befreite aber die Strukturen der Kiemenbögen von ihrer Saugfunktion: Das eröffnete die Möglichkeit, sie für andere Funktionen umzugestalten – und machte den Weg frei für den Start der „Zungenevolution“.

Die Riesensalamander selbst haben nur unbewegliche Vorstufen von Zungen. Doch an Land entwickelten Amphibien in mehr als 100 Millionen Jahren eine Vielfalt von extrem funktionstüchtigen Zungen. Wie jedes Kind weiß, das z.B. einen Frosch beim Fliegenfangen zeichnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2013)

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