Auch Affen und Wale haben Kultur

(c) Erica van de Waal
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Der Streit darüber, ob auch Tiere neben den Genen ein „zweites Erbsystem“ haben – das des sozialen Transfers von Innovationen –, ist entschieden: Sie haben es.

Anfang der 1950er-Jahre machte Imo, ein Japanmakaken-Weibchen auf der Insel Koshima, eine Erfindung: Die Tiere wurden mit Süßkartoffeln gefüttert, man legte sie auf den Sandstrand. Aber Imo wollte keinen Sand zwischen den Zähnen: Sie wusch ihre Kartoffeln im Meer, das verbreitete sich rasch in der Gruppe. Bald zeigte sich Ähnliches bei Hähern in den USA: Einer erfand die Kunst, die Milchflaschen zu öffnen, die die Milchmänner vor den Haustüren abstellten, die Flaschen hatten einen Aluminiumdeckel. Häher beobachten einander gern, bald haben alle den Trick beherrscht.
Das ließ den Biologen Kinji Imanishi vor über 60 Jahren spekulieren, dass Tiere, wenn sie denn voneinander lernen können, in verschiedenen Gruppen Verschiedenes lernen und auf diesem Weg verschiedene „Kulturen“ bilden. Aber Imanishi publizierte im fernen Japan, und die Idee, dass Tiere Kultur haben, war dem Westen fremd. Neu war sie nicht: „Sie knacken Nüsse mit Steinen auf, genau wie Menschen.“ Das beobachtete ein Missionar 1844 bei Schimpansen in Liberia. Darwin zitierte es noch, dann geriet es in Vergessenheit, vielleicht wurde es auch verdrängt. Die Kultur des Werkzeuggebrauchs galt lange als Privileg des Menschen.
1960 entdeckte Jane Goodall den Werkzeuggebrauch bei Schimpansen wieder, später zeigten sich in verschiedenen Gruppen verschiedene Werkzeuge. Sie haben also Kultur im Sinn eines „Verhaltens, das durch soziales Lernen miteinander geteilt wird“. Aber der Zweifel blieb, 1993 noch sprach Michael Tomasello (Leipzig) Schimpansen Kultur ab: In einem Experiment hatten sie es nicht geschafft, einen Menschen zu imitieren. Aber warum sollten Schimpansen Menschen imitieren? Sie müssen Schimpansen imitieren!

Neue Jagdtechnik der Buckelwale

So ging es hin und her. Aber jetzt haben zwei Gruppen die Frage entschieden, ob es auch bei Tieren neben den Genen ein „zweites Erbsystem“ gibt, jenes der Kultur: Es gibt es, etwa bei Buckelwalen am Golf vor Maine. Seit 27 Jahren werden sie beobachtet, 73.790 Sichtungen kamen zusammen, auch vom Jagdverhalten. Buckelwale betreiben „bubble feeding“: Wenn sie einen Fischschwarm entdecken, tauchen sie unter ihn und lassen Luft aus dem Maul blubbern. Die treiben den Schwarm enger zusammen, die Wale müssen beim Auftauchen nur noch das Maul öffnen.
So haben sie es immer getan. Aber 1980 erfand einer etwas, das „lobtail feeding“: Er schlug erst mit dem Schwanz auf das Meer und tauchte dann zum Bläschenmachen, das trieb die Fische noch enger zusammen. Andere Wale haben es übernommen, und Luke Rendell (St. Andrews) beschreibt es als einen „Höhepunkt der Evolution von nicht menschlicher Evolution“ (Science, 340, S. 485).
Einen noch eindrucksvolleren Beleg hat Erika van de Waal (St. Andrews) experimentell an wilden Meerkatzen erbracht (Science, 340, S. 438): Sie bot den Tieren Mais an und färbte ihn zuvor, es gab roten und weißen. Der rote schmeckte, dem weißen waren Bitterstoffe hinzugefügt. So war es bei einer Gruppe, bei der benachbarten war es umgekehrt, dort war der rote Mais bitter. Die Tiere lernten rasch, das ist noch keine Kunst, aber das Experiment lief weiter, nun ohne Bitterstoffe. Dann wurden erste Junge geboren, sie griffen nach der Farbe, nach denen sie ihre Mütter hatten greifen sehen. Auch das muss noch kein Beweis für soziales Lernen sein. Aber dann kamen herangewachsene Männchen, die bei der Geschlechtsreife die Gruppe wechseln: Sie legten ihre alten Sitten ab und übernahmen die der neuen Gruppe.

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