Moskitos: "Ich esse euch auf bis ans Ende der Zeiten!"

Moskitos
Moskitos(c) APA (Peter Foerster)
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Seit 100 Millionen Jahren saugen sie Blut, die Weibchen der Moskitos, sie tun es zu einem edlen Zweck, nähren damit ihre Kinder. Trotzdem würde der Erde nichts fehlen, wenn es sie nicht gäbe.

Vor langen Jahren lebte ein Riese, der es liebte, Menschen zu töten, ihr Fleisch zu essen und ihr Blut zu trinken. „Wenn wir ihn nicht loswerden“, sagten die Leute, „wird keiner von uns übrig bleiben.“ Also beschließen sie, den Riesen zu töten, es gelingt, aber nur halb, er redet weiter: „Obwohl ich tot bin, werde ich euch alle fressen und alle Menschen auf der Erde für alle Zeiten.“ Also verbrennt man den Untoten, und die Asche steigt zum Himmel: „Jedes ihrer Teilchen wurde ein Moskito. Die Aschenwolke wurde eine Moskitowolke, aus ihrer Mitte hörte man die lachende Stimme des Riesen: ,Jawohl, ich werde euch Menschen aufessen bis ans Ende der Zeiten!‘“

So erzählt man es bei den Tlinget, Indigenen in Alaska, andere Stämme haben ähnliche Mythen, in einer Region ist die Erzählung fast wortgleich. Aber die Region liegt in Sibirien, vielleicht sind Ahnen der Bewohner einst nach Amerika gewandert, vielleicht ist die gleiche Erfahrung so überwältigend: Nirgends auf dem Erdenrund sind Gelsen eine derartige Landplage wie im hohen Norden. Dort schlüpfen sie kurz nach der Schneeschmelze und bilden so dichte Wolken, dass Karibus darin ersticken können. Und wenn sie doch lebend herauskommen, hat jedes Tier am Tag einen Drittelliter Blut weniger.

„Aller Staub der Erde ward zu Mücken“

Natürlich leiden auch die Menschen, allerdings nicht so böse wie die weit im Süden: 247 Millionen im Jahr erkranken an Malaria – und das ist nur eine der von Moskitos übertragenen Krankheiten –, eine Million stirbt. Vielleicht ist der Schrecken so groß, dass ihn nicht einmal Mythen bannen können, man findet im Süden fast keine, selbst bei den Plagen, die Mose auf Geheiß Jahwes über Ägypten kommen lässt, ist nicht klar, was die „Stechmücken“ sind (Plage Nr. 3: „Aller Staub der Erde ward zu Mücken in ganz Ägyptenland“) und die „Stechfliegen“ (Plage Nr. 4).

Auf alle Fälle ist im Norden und im Süden anderes los als bei uns, wo das Gesirre nur die Nerven strapaziert und die Gastgärten leert, man sonst aber in Ruhe ein Wunderwerk der Evolution bestaunen kann: Es gibt 3500 Arten von Moskitos, alle nähren sich von Nektar, ein paar hundert saugen periodisch auch Blut, es sind frisch verheiratete Weibchen, sie brauchen den besonderen Saft für ihre Eier. So halten sie es seit 100 Millionen Jahren. Damals mussten sie auch das Problem der Hitze lösen, die mit dem Blut in ihre kalten Körper fährt. Sie taten es so: Beim Blutsaugen kühlen sie sich, indem sie eine Flüssigkeit ausscheiden, die rasch verdunstet (Current Biology, 22, S.40).

Und die Temperatur ist nur eines der Probleme, ein anderes fällt vom Himmel, in den Tropen jeden Tag: Ein Regentropfen hat die fünfzigfache Masse eines Moskitos, und wenn er trifft, dann ist das etwa so, als pralle ein Bus auf einen Fußgänger. Aber die Moskitos überleben, sie lassen sich vom Tropfen mit nach unten reißen und fliegen dann – nach einer Distanz von 13 Körperlängen – zur Seite weg, David Hu (Georgia Institute of Technology) hat es in mühsamen Experimenten erkundet (Pnas, 109, S.9822). So fröhlich ist die Wissenschaft von den Blutsaugern nicht immer, in anderen Tests geht es um Leben und Tod: 1987 bekamen sechs Freiwillige am Walter Reed Army Institute Schachteln auf den Arm geschnallt, darin Moskitos, darin Malariaerreger. Am neunten Tag erkrankte der Erste – er wurde mit Medikamenten therapiert –, rasch folgten die anderen. Aber einer blieb gesund, offenbar hatte bei ihm der Testimpfstoff gewirkt, der ihm und den anderen gespritzt worden war.

Die Hoffnungen waren groß, sie zerschlugen sich, einen Impfstoff gibt es bis heute nicht. Es hilft nur eines: Der Riese muss erledigt werden. Das versuchte man lange mit Insektiziden, vor allem DDT, oft winkten Erfolge, dann kamen politische Wirren dazwischen oder das Geld ging aus, man konnte nur Regionen von Malaria befreien, die USA etwa. Die gründeten für diesen Krieg in den 1940er-Jahren eine eigene Behörde, die Centers for Disease Control (CDC), sie vertrieb die Malaria rasch aus dem Land und wandte sich anderen Aufgaben zu, blieb aber international an der Front: „Wir haben nie etwas von Moskitos gewollt, außer dass sie verschwinden“, erklärte denn auch CDC-Mitarbeiterin Janet McAllister, als Nature unter Entomologen herumfragte, ob die Welt ärmer wäre, wenn es keine Moskitos gäbe (466, S.432). Die Antwort war ein einhelliges Nein. „Die Welt wäre sicherer für uns“, urteilte Carlos Macondes (Santa Catarina, Brasilien), und David Stickmann vom US-Landwirtschaftsministerium ergänzte: „Der ökologische Effekt einer Moskitoausrottung wäre, dass es mehr Menschen gäbe.“

Sind sie denn zu gar nichts nütze? Nein!

Ja, sind sie denn zu gar nichts nütze, zum Bestäuben oder zumindest als Glied der Nahrungskette? Sie bestäuben schon, aber keine Pflanze ist von ihnen abhängig; und die Mägen von Räubern füllt die karge Kost kaum – bei Fledermäusen zu zwei Prozent –, nur der Moskitofisch ist auf seine Namensgeber spezialisiert, auf ihre im Wasser lebenden Larven, ihn setzt man in Reisfeldern und Swimmingpools zur Malaria-Bekämpfung ein. Die einzige große Änderung von Ökosystemen käme hoch im Norden: Die Karibuherden weichen auf ihren Wanderungen den Moskitos nach Kräften aus, sie würden ohne die Plagen andere Wege einschlagen, andere Gebiete beweiden.

Aber der Traum von einer Welt ohne Moskitos kommt ohnehin nur von der Sommerhitze – gelingen wird es nie –, und man weckt sich unsanft selbst, wenn man sich wieder einmal aufs Ohr schlägt, weil man ihn eben dort hört, den unsterblichen Riesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2013)

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