Kognition: Was in Krähenköpfen vor sich geht

Kraehen Kognition.
Kraehen Kognition. (C) Marzloff
  • Drucken

Erstmals konnten mit bildgebenden Verfahren Hirnaktivitäten von Vögeln dokumentiert werden. Sie bestätigen die wundersame Klugheit vieler Gefiederter.

Wenn eine Krähe sieht, dass es einer anderen schlecht geht, schaut sie genau hin und eilt bei Bedarf zu Hilfe. Das ist bei allen sozialen Rabenvögeln so, Konrad Lorenz musste es erleben, als er von seinen zahmen Dohlen attackiert wurde, er erklärte es damit, dass er schwarze Schwimmflossen in den Händen trug und die Dohlen sie für gefangene/getötete Artgenossen hielten. Das war „anecdotal evidence“, aber sie trifft sich mit den systematischen Erkundungen, die John Marzluff (Seattle) seit Jahren an Krähen unternimmt.

Aber erst muss er sie haben, er fängt sie und trägt dabei eine Maske, irgendeine. Die merken sich die Vögel jahrelang, auch wenn sie längst wieder in Freiheit sind: Sie attackieren den Träger der Maske – dieser Maske, andere Masken interessieren sie nicht –, wo immer sie ihn sehen. Das brachte Marzluff überhaupt erst auf die Idee mit den Masken: Am Anfang seiner Arbeit war er mit offenem Gesicht auf Krähenfang gegangen – aber bald konnte er nicht mehr unbehelligt über den Campus seiner Universität spazieren, unter den tausenden Menschen erkannten die Krähen ihn und stürzten sich auf ihn.

Die Maske war also erst ein technisches Hilfsmittel. Nun nützte Marzluff sie für ein Experiment: Er setzte eine Mitarbeiterin vor den Käfig einer gefangenen Krähe, sie trug eine Maske im Gesicht und eine tote Krähe in der Hand. Das weckt die Aufmerksamkeit der Krähe, man sieht es am Lidschlag. Der verändert sich auch – und ganz genau so –, wenn man ihr etwas völlig anderes präsentiert, einen ausgestopften Raubvogel, auch den fixiert sie konzentriert.

Aber die Gleichheit des Verhaltens trügt, im Krähenkopf geht beim Anblick des Menschen anderes vor sich als bei dem des Raubvogels, das hat Marzluff nun auf einem Weg gezeigt, mit dem er der Erforschung der geflügelten Intelligenz ein neues Feld öffnete: Er hat mit bildgebenden Verfahren die Aktivitäten in Krähenhirnen sichtbar gemacht.

Dazu wurden die Tiere kurz nach der Präsentation der Bedrohung narkotisiert und in einen Tomografen geschoben – und kurz vorher hatte man ihnen einen radioaktiven Tracer gespritzt, der sich so langsam abbaut, dass er im narkotisierten Tier zeigt, was im Gehirn in den letzten 15 Minuten vor sich ging: In beiden Fällen bereitet die Krähe sich auf eine Attacke vor – sie sucht ihr Heil meist im Angriff –, im Gehirn werden Regionen aktiv, in denen die Aufmerksamkeit und die Steuerung der Motorik sitzt. Aber beim Anblick des Menschen, und nur bei seinem, werden auch Regionen aktiv, die mit Erinnerung zu tun haben (Proc. Roy. Soc. B. 2.7.).

Bedrohungen werden eingespeichert

Diesen Menschen bzw. diese Maske prägt die Krähe sich ein, ihn wird sie nicht vergessen. Den Raubvogel vergisst sie natürlich auch nicht, aber wie der im Detail aussieht, ist gleichgültig, er ist immer eine Gefahr. Bei Menschen ist das anders: Die meisten kümmern sich überhaupt nicht um Krähen, andere sind freundlich und füttern sie vielleicht, wieder andere bedeuten Gefahr. Diese werden eingespeichert, und die Erinnerung wird auch an andere Krähen weitergegeben, das hat Marzluff zuletzt gezeigt (Proc. Roy. Soc. B, 279, S.499).

Wie ist das möglich, ausgerechnet bei den Tieren, denen man lange ein „Spatzenhirn“ zusprach, den Vögeln? Man tat ihnen Unrecht, man war einem Irrtum aufgesessen und hielt beharrlich an ihm fest: Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Ludwig Edinger, der „Vater der vergleichenden Neuroanatomie“, die bis heute geltende Terminologie der Hirnforscher. Edinger ging davon aus, dass Gehirne im Lauf der Evolution immer neue Schichten ansetzen, und dass nur Säugetiere ganz außen eine sechslagige Zellschicht haben, in der die Intelligenz sitzt, Edlinger nannte sie „Neokortex“.

Vögel haben keinen, ergo haben sie keine Intelligenz. Das hielt sich, obwohl schon die Mythen es besser wussten – Odin schickte seine Raben zum Nachrichteneinholen, „Hugin“ (Gedanke) und „Munin“ (Erinnerung) –, und obwohl sich wundersamste Beobachtungen häuften, etwa in der japanischen Stadt Sendai, in der Krähen eines Tages auf die Idee kamen, Walnüsse bei roten Ampelphasen vor die wartenden Autos auf die Straßen zu legen und sie bei Grün knacken zu lassen. Derartiges öffnete irgendwann doch den Blick, Hirnforscher nahmen noch einmal das Skalpell in die Hand: Auch Vögel haben im Gehirn Strukturen wie wir im Neokortex, sie sind bei ihnen nur an anderen Orten. Deshalb revidierte man 2005 die Terminologie und schaffte den „Neokortex“ ab.

Damit konnten die Vögel Einzug in die Labors der Kognitionsforscher halten, wo man lange nur auf unsere näheren Verwandten gesetzt hatte, und dort zeigen sie durchaus vergleichbare Leitungen: „Rabenvögel sind fliegende Affen“, fasst Marzluff zusammen. Das bestätigte auf seine Art eine der Testkrähen, sie lebt längst wieder in der Natur – und ließ sich kein zweites Mal fangen. Sie holte nur den Köder aus der Falle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.