Wie die Donau gebändigt wurde

Donau gebaendigt wurde
Donau gebaendigt wurde(c) Clemens Fabry
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Jahrhundertelang versuchten die Wiener, den Zugang zu ihrem Hauptfluss nicht zu verlieren und sich gleichzeitig vor Fluten zu schützen: Umweltgeschichte, die auch ein Fenster in die Zukunft ist.


Anno 1529 entging Wien nur knapp der Katastrophe: Im September stand ein riesiges osmanisches Heer vor den Toren der Stadt. Auch wenn die Eroberung des „Goldenen Apfels“ scheiterte, wurde den Wiener klar, wie schutzlos sie waren. Das betraf nicht nur die veralteten mittelalterlichen Befestigungsanlagen, sondern auch die Lage an der Donau: Die Osmanen konnten ziemlich ungehindert auf dem Fluss bis nach Wien vordringen und sich in Gebäuden auf Inseln direkt vor der Stadtmauer verschanzen.

Eine Verbesserung der Situation war unumgänglich – auch weil Wien damals zum Herrschaftssitz der Habsburger aufrückte. Stadtväter und Landesherren starteten ein gigantisches Ausbauprogramm Wiens zu einer „Donaufestung“. Fixer Bestandteil dieser Überlegungen war die Donauebene – zum einen als Verteidigungssystem, zum anderen als strategisch wichtiges Reservoir für die Versorgung der Stadt.

In die Quere kam den Machthabern allerdings die Natur. Die Donau ist bei Wien noch ein Gebirgsfluss, der durch die Wiener Pforte (zwischen Leopoldsberg und Bisamberg) durchbricht und sich seinerzeit in ein sechs Kilometer breites Gewirr aus Flussarmen, Auen und Inseln im Wiener Becken ergoss. Das Gefälle der Donau ist hier noch groß (40 Zentimeter je Kilometer), die Wassermengen schwanken über das Jahr stark (eins zu 13), das Wasser führt große Mengen Geschiebe mit sich. Der Fluss änderte ständig seinen Lauf, v. a. bei Hochwasser wurden Uferbänke abgetragen, anderswo Schutt abgelagert, es entstanden bzw. verschwanden Donauarme und Inseln.
Ab dem späten Mittelalter veränderte sich auch der „Wiener Arm“ (heute: Donaukanal), der seit der Römerzeit der ziemlich stabile Hauptarm der Donau war. Die Wassermassen begannen, sich immer weiter nach Nordosten, weg von der Stadt, zu verschieben – um bis zu 20 Meter pro Jahr.

Rekonstruierte Donau. Die Ursachen sind vielfältig: Erstens sinkt das Wiener Becken auch heute noch durch tektonische Vorgänge. Zweitens spülen die Wienerwaldbäche von Westen her viel Sediment in die Donau. Und drittens wurden die natürlichen Tendenzen offenbar durch menschliche Aktivitäten verstärkt: So hat z. B. die Ausweitung von Ackerflächen bis in das Spätmittelalter hinein die Erosion der gerodeten Gebiete verstärkt – und wo die Donau langsamer fließt, lagern sich Schwebestoffe und Geröll ab.

Eine wichtigste Konsequenz für die Wiener war, dass der Wiener Arm immer wieder zu verlanden drohte, erläutert Verena Winiwarter, Umwelthistorikerin am Institut für Soziale Ökologie der Uni Klagenfurt. Sie leitete das FWF-Projekt Enviedan (Environmental History of the Viennese Danube), in dem die Geschichte der Donau und ihrer Regulierung von 1500 bis 1890 im Wiener Raum erforscht wurde.

Winiwarter stellte dazu ein interdisziplinäres Team aus Historikern und Naturwissenschaftlern zusammen – unter ihnen Martin Schmid (Uni Klagenfurt), Severin Hohensinner (Boku) oder Christoph Sonnlechner (Wiener Stadt- und Landesarchiv). In zweieinhalbjähriger Arbeit wurden unzählige historische Dokumente analysiert und mit Wissen über Gewässer, Fließdynamik und Ökologie verknüpft.

Das Ergebnis des Projekts sind Karten, in denen der Lauf der Donauarme zu zehn Zeitpunkten rekonstruiert wurde. Dokumentiert wurden alle technischen Maßnahmen (samt politischen Debatten und wirtschaftlichen Hintergründen) sowie die langfristigen Folgen. Die Ergebnisse wurden nun in einer Artikelreihe in der Juliausgabe des International Journal of Water History (5, 2, S. 101–239) veröffentlicht.

Neue Flussarme. „Der Einblick in die lange Geschichte der Wiener mit ,ihrer‘ Donau öffnet die Augen für die Dynamik, mit der der mächtige Strom die Stadt prägte“, so Winiwarter. Wien und die Donau hätten eine gemeinsame Geschichte, langfristig zeigten die beiden eine „dynamische Ko-Evolution“, formuliert es die Forscherin.
Spätestens nach einer Serie großer Überschwemmungen und Eisstöße um 1565 wurde der gewundene Tabor-Arm (von dem der Wiener Arm abzweigte) durch den gerade verlaufenden Wolf-Arm als größtes Gerinne abgelöst. Die Folge: In den Wiener Arm floss weniger Wasser, es bildeten bzw. vergrößerten sich Inseln (aus dem „Unteren Werd“ z. B. entstand die Rossau). Der Zugang der Stadt zur lebenswichtigen Transportader (und Kloake) war akut gefährdet. Zudem veränderte sich die Bedrohung durch Hochwasser und Eisstöße – und auch die Grundbesitzer waren alarmiert, weil sich ihre Flächen veränderten.
Die städtischen Behörden, die NÖ Regierung und Kammer sowie der Habsburgerhof (Hofkammer und Hofkriegsrat) machten sich Gedanken, wie man das Wasser zurück in den Tabor-Arm leiten könnte – etwa durch einen Damm im neuen Hauptarm. Der Erfolg war aber bescheiden: Die Debatten zwischen Behörden und Betroffenen (Brückenmeister, Salzschiffern, Fischern, Grundeignern) dauerten ewig, die Finanzierung war schwierig, die technischen Möglichkeiten unzureichend.

Ab 1610 begannen sich die Wiener mit der Situation abzufinden: Sie sahen ein, dass man die Wassermassen nicht umleiten konnte; man wollte aber zumindest den Wiener Arm schiffbar erhalten und die Stadt besser vor Fluten und Eisstößen schützen. Vor allem am Beginn des Wiener Arms bei Nussdorf wurden große Bauwerke errichtet, um die Ufer zu schützen. Wasserpflüge wurden eingesetzt, um Sedimente zu lockern, damit sie schneller weggespült werden. Und man schüttete sogar einen der Donauarme zu, in die sich der Wiener Arm gespalten hatte.
Gleichzeitig erwies sich der neue Wolf-Arm als nicht stabil: Er teilte sich in mehrere Flussläufe und bildete große Mäander, die bereits genutzte Inseln bedrohten. Etwa den Prater, das Jagdrevier der Habsburger: Die Ufer wurden befestigt, zudem wurden zwei je 340 Meter lange Kanäle gegraben, die die Strömung umlenken sollten.
All diese Maßnahmen erforderten immens viel Geld, Arbeitskräfte, Baumaterial und Holz. Dennoch wurden im 16. Jahrhundert alljährlich im Schnitt 350 Laufmeter Uferbefestigungen (Flechtzäune, Faschinen), Senkkästen, Dämme, Wehren, Leitwände etc. geschaffen. Wenn ein Wasserbauwerk einmal errichtet war, dann war es damit freilich noch nicht getan: Es musste jedes Jahr erneuert oder zumindest ausgebessert werden. Die meisten Bauwerke waren kurzlebig, im Schnitt waren es zehn Jahre.

Besonders gefährdet waren Brücken, die vielfach jedes Jahr erneuert bzw. ausgebessert werden mussten. Gerade bei ihnen zeigten sich auch negative Folgen von Wasserbaumaßnahmen deutlich, erläutert Winiwarter: Eisschollen stauen sich bevorzugt an Engstellen – sei es zwischen Inseln oder zwischen menschengemachten Hindernissen wie den Brückenpfeilern. „Der Mensch erzeugt das Problem selbst“, so die Forscherin. Grundsätzlich gilt: Jede Wasserbaumaßnahme hat stromabwärts Folgen – etwa durch Ablagerung von Material an Stellen, an denen man es nicht haben will, oder – bei Erhöhung der Fließgeschwindigkeit – durch verstärkte Erosion. Und wenn man Hochwasser oder Eisstöße möglichst rasch ableiten will, dann wurden sie stromabwärts umso schlimmer.
Der technische Fortschritt ermöglichte nach der Zweiten Türkenbelagerung 1683 immer größere Wasserbauten: etwa einen Damm, der verhinderte, dass das Heustadelwasser zum Wiener Arm durchbrechen konnte. Oder einen vier Kilometer langen Durchstich durch zwei Mäander des Wiener Arms unterhalb der Stadt.

Donau gebaendigt wurde
Donau gebaendigt wurdeFWF-Projekt: ENVIEDAN



Aktive Beeinflussung.
Das späte 18. und das 19. Jahrhundert standen im Zeichen der Suche nach einer großen Lösung – einem aktiven und umfassenden Eingriff in die Kinetik des Flusses, der nicht nur Land und Wasser stabilisieren, sondern auch die Siedlungen schützen sollte. Die Donau hatte sich damals auf die nördlichsten Arme konzentriert. Durch riesige Dämme wie z. B. den Hubertusdamm oder den Praterdamm (beide nach 1780) wurden große Areale für eine dauerhafte Besiedlung und für erste Industriebetriebe (und später Bahnhöfe) gesichert. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden jährlich 2200 Laufmeter Wasserbauten errichtet. Deren Haltbarkeit lag bei durchschnittlich 17 Jahren.
Diese Maßnahmen beschränkten sich allerdings weiterhin nur auf kleine Bereiche der Flusslandschaft – der größte Teil der Donau blieb naturnah. Das änderte sich, nachdem 1850 die Donau-Regulirungs-Commission gegründet wurde: Die Pläne für einen schnurgeraden Donaudurchstich wurden 1870 bis 1875 realisiert, in den Jahrzehnten danach wurden die Dämme erhöht. Durch solche Großvorhaben vermehrten sich die Wasserbauten im 19. Jahrhundert im Schnitt um jährlich 5160 Laufmeter, ihre Lebensdauer erhöhte sich auf 23 Jahre.

Die Donau wurde damals grundlegend transformiert: Der Fluss verlor fast alle ständig durchflossenen sowie toten Arme, das dynamische Wechselspiel zwischen der Bildung neuer Flussarme und Verlandung (zuvor jährlich rund ein Prozent der Wasserfläche) kam ganz zum Erliegen.
Abgesehen von den ökologischen Folgen hat die große Donauregulierung ihren Zweck erfüllt: Sie hat die dauerhafte Expansion der Stadt in zuvor unbesiedelbare Areale ermöglicht und selbst die beiden jüngsten Jahrhunderthochwasser überstanden. Allerdings, so betont Winiwarter, sei Regulierung niemals beendet, weil die Energie des Flusses nicht völlig kontrollierbar ist. Die Geschichte ist für sie wie ein Blick in einen „fernen Spiegel“: Die Rekonstruktion des Naturzustands sei ein Fenster in die Zukunft. „Wir haben die ganze Infrastruktur mit billiger fossiler Energie gebaut“, so Winiwarter. Wenn künftige Gesellschaften mit weniger Energie auskommen müssen, dann könne das Ausmaß der Eingriffe in die Natur nicht aufrechterhalten werden – und daher sei der Blick in die Vergangenheit eine wichtige Grundlage für alle Planungen der Zukunft.

Ergebnisse des Enviedan-Projekts können unter http://link.springer.com/journal/12685/5/2 sowie unter www.youtube.com/user/kyselaklebt/featured abgerufen werden.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2013)

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