Klima: Wetterbericht mit Kriegswarnung?

Klima Wetterbericht Kriegswarnung
Klima Wetterbericht Kriegswarnung(c) EPA (Stephen Hird)
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Dass sich mit der Erwärmung auch die Gemüter erhitzen, bis hin zum kollektiven Totschlag, wird seit einiger Zeit vermutet. Aber die Beweislage ist dünn.

Wenn es heiß wird in Wien und anderswo, dann hebt sich die Aggressivität auf den Straßen, und in den Gastgärten röten sich die Gesichter auch rascher. Das kennt jeder, auch von sich selbst, die Temperatur schlägt aufs Gemüt, aufs individuelle. Auch aufs kollektive, wenn man das einmal als Subjekt größerer und organisierter Gewalt unterstellen darf. Wird die globale Erwärmung, wenn sie denn kommt, Kriege und Bürgerkriege anheizen, hat das Klima solche Macht?

Das ist umstritten, seit der Ökonom Marshall Burke (Berkeley) 2009 publizierte, dass die Gefahr von Bürgerkriegen im Afrika südlich der Sahara von Jahr zu Jahr mit den Temperaturen schwankt: In heißen Zeiten floss häufiger Blut (Pnas, 106, S. 2067). Aber die Studie stieß wegen statistischer Mängel und der Begrenzung auf eine relativ kleine Region auf heftige Kritik. Deshalb wählte Solomon Hsiang, Ökonom in Princeton, einen breiteren Zugang: Er ging von El Niño aus, dem Klimaphänomen, das der Südhalbkugel periodisch Hitze und Trockenheit bringt. Und Gewalt: In El-Niño-Jahren verdoppelten sich im Süden die Bürgerkriege von drei auf sechs Prozent (in ökonomisch vergleichbaren Ländern auf der Nordhalbkugel, die von El Niño kaum betroffen ist, blieben sie konstant bei zwei Prozent). Das zeigte sich etwa in Peru, vor allem aber wieder in Afrika, besonders drastisch im Sudan: 1963 begann das Schlachten, dann ebbte es ab, 1976 kam es wieder, ebbte wieder ab, 1993 war es neuerlich da: alles El-Niño-Jahre. Denen könne man insgesamt ein Fünftel aller Bürgerkriege der Erde zurechnen (Nature, 476, S. 438).

Kleine Eiszeit brachte Gewalt ohne Ende

Auch das erntete Skepsis: Gezeigt sei allenfalls eine Korrelation, keine Kausalität, und in vielen El-Niño-Jahren – das Phänomen kommt alle zwei bis sieben Jahre – eskalierte die Gewalt nicht einmal im Sudan. Zudem sage El Niño nichts über langfristigen Klimawandel wie den derzeit befürchteten. Deshalb griff David Young, Geograf an der University of Hongkong, auf das Europa der Jahre 1500 bis 1800 zurück, in ihnen kam die Kleine Eiszeit mit extremer Kälte: Die Gewalt in und zwischen Staaten explodierte, in der ersten harten Kältephase um 41 Prozent, bald zogen sich Kriege 30 Jahre hin.
Das fand partiell Zustimmung, auch weil die Mechanismen klar waren, erst wurden die Ernten mager, dann stiegen die Getreidepreise, dann kamen soziale Verwerfungen. Allerdings ging es um eine Abkühlung, zudem endete der Untersuchungszeitraum vor der Industrialisierung und Globalisierung, die regionale Engpässe abfangen können. Aber es kam schon auch Grundsatzkritik, die Historiker waren erwacht und wiesen auf die Vielzahl von Faktoren hin, die zu Kriegen führen können, von Ökonomie bis Religion.

Das möge schon sein, melden sich nun wieder Burke und Hsiang zu Wort, aber sie hätten nun eine „bemerkenswerte Kausalität“ entdeckt: „Für jede Standardabweichung im Klima hin zu Erwärmung“ erhöhe sich „die Frequenz interpersoneller Gewalt um vier Prozent und die von Konflikten zwischen Gruppen um 14 Prozent“, das zeige die Metaanalyse von 60 Studien (Science, 1. 8.). Dahinter steckt allerdings einige Rechenkunst, die „Standardabweichung“ ist eine nicht recht nachvollziehbare Erfindung von Burke/Hsiang, sie übersetzt sich mit 0,4 Grad in Afrika und drei Grad in den USA.
Und das Kleingedruckte („Supporting Material“) liest sich auch nüchterner: Von den 60 Studien beziehen sich 15 auf Szenen wie die eingangs erwähnten – bei Hitze wird zwischen Individuen rascher zugeschlagen, auch seitens der Polizei, zumindest in den Niederlanden –, ebenso viele gehen auf historische Kollapse, etwa den Untergang der Maya an langer Dürre, zurück. Was bleibt, ist nicht viel mehr als das alte El-Niño-Material aus Afrika. Und das kann schwer die bluttriefende Prognose stützen: „Unser Befund lässt annehmen, dass eine Erwärmung um zwei Grad Konflikte zwischen Gruppen, etwa Bürgerkriege, in vielen Teilen der Welt um über 50 Prozent erhöhen wird.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2013)

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