Wer an seinen Willen glaubt, braucht nicht immer Schokolade

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Symbolbild(c) Michaela Bruckberger
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Das Gehirn stillt seinen Energiehunger vor allem mit Zucker, mit dem, der im Körper ist. Braucht es auch Extrazucker zwischendurch, muss es bei Ermattung nachtanken? Das hängt sehr davon ob, ob man die eigene Willenskraft für begrenzt hält oder für unerschöpflich.

Wenn man im Büro ermattet, greift man automatisch nach Süßem – Schokolade, Keks, Softdrink –, auch wenn man weiß, dass im Körper noch genug Zucker eingelagert ist. Und auch wenn man noch ganz blass ist von der Lektüre der jüngsten Publikation über die Gesundheitsfolgen von Zucker: Selbst in ganz „normalen“ Dosen verkürzt er das Leben und mindert er die Reproduktionsfähigkeit stark, zumindest ist das bei den Mäusen im Labor von Wayne Potts (University of Utah) so. Das sind keine üblichen Labormäuse, man hat vielmehr Hausmäuse gefangen und sich vermehren lassen und hält sie unter sehr naturnahen Bedingungen.

Natürlich sind sie trotzdem Mäuse und keine Menschen, aber Hausmäuse begleiten den Menschen, seit er die Landwirtschaft erfunden hat, und sie fressen ihm seine Vorräte weg, ernähren sich also ähnlich. Das taten sie auch im Experiment, ihr Futter entsprach gesundem, nicht zusätzlich gesüßtem menschlichen Essen plus 25 Prozent Extrazucker, das entspricht bei uns drei Softdrinks am Tag. Die Folgen waren verheerend: Nach 32 Wochen waren 35 Prozent der Mäuseweibchen tot – doppelt so viele wie in der Kontrollgruppe –, und bei den Männchen war die Kampf- und Zeugungskraft gesunken: Sie konnten ihre Reviere schlechter verteidigen, und sie hatten ein Viertel weniger Nachwuchs. (Nature Communications, 6. 8.)

„Brain fuelling hypothesis“

Wie das zugeht, ist unklar, diese Mäuse waren nicht verfettet, und im Stoffwechsel fand sich nichts Besonderes. Wie auch immer, Potts zog Konsequenzen: „Ich habe meinen Zuckerverbrauch reduziert und meine Familie ermuntert, es auch zu tun.“ Aber das ist gar nicht so einfach, etwa, wenn man eben im Büro ermattet. Dann hat man eine ganz eigenartige Vorstellung von sich selbst, man fühlt sich als Maschine, der der Treibstoff ausgegangen ist, der Zucker, der das Gehirn auf Touren bringt. Er muss ersetzt werden, so sieht es der Laie, so sieht es auch die „brain fuelling hypothesis“.

Aber wir sind keine Maschinen, zumindest keine so einfachen, wir haben schließlich auch einen Willen, darauf pochte schon William James 1906 auf dem Kongress der US-Philosophen – „The Energies of Men“ (Science, XXV, S. 634) –, ihm ging es um das mentale Überwinden etwa von Erschöpfung. Daran knüpft Carol Dweck (Stanford) an, sie hat getestet, ob das Gehirn an Extrazucker hängt wie ein Junkie an der Nadel – oder ob es umgekehrt den Bedarf selbst steuert. Dazu wurden Testpersonen ins Labor geladen und erst befragt, ob sie die Kraft ihres Willens für begrenzt halten oder für unerschöpflich.

Dann erhielten sie ein Glas Limonade – gesüßt mit Zucker oder Zuckersatz –, dann gab es Aufgaben, die Konzentration und Selbstbeherrschung erforderten, am Ende kam ein Test, ein Stroop-Test. Bei ihm sind die Namen von Farben farbig geschrieben, entweder dazupassend („Grün“ in grüner Farbe) oder nicht („Grün“ in roter Farbe), man reagiert unterschiedlich rasch, daran lässt sich die Konzentration ablesen.

Bei all dem zeigte sich, dass weder der Kaloriengehalt des Getränks noch die jeweilige Einschätzung des Willens für sich genommen einen Einfluss hatte. Aber beide zusammen hatten es: Wer an begrenzte Willenskraft glaubte, tat sich mit Konzentration und Selbstbeherrschung leichter, wenn er Extrazucker zu sich genommen hatte; aber es musste schon echter Zucker sein, allein der Glaube, es sei Zucker, wirkte nicht.

Wer hingegen von der Grenzenlosigkeit seiner Willenskräfte überzeugt war, war gleich gut bei Konzentration, ob er nun Limonade mit oder ohne Zucker getrunken hatte. Und so ein Glaube muss nicht einfach da sein, er lässt sich erzeugen, das zeigte das Folgeexperiment, in ihm wurden die Testpersonen beim Befragen „geprimet“: Die Fragen waren so gestellt, dass sie den Glauben an die Un-/Erschöpflichkeit der Willenskraft manipulierten. Es wirkte, auf das Denken und den Extrazuckerbedarf. (Pnas, 19. 8.)

„Die Befunde zeigen, dass ein scheinbar grundlegender physiologischer Prozess zumindest teilweise davon abhängt, wie Personen und Kulturen sich die Natur des Willens vorstellen“, schließt Dweck und hofft, Übergewichtsbedrohte via „priming“ vom „Glauben an die Notwendigkeit eines raschen Energieschubs befreien zu können“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2013)

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