Geld schuf das Vertrauen und nahm die Güte

Das Gottvertrauen schmückt den Dollar, aber mehr als Schmuck ist das nicht. Das Geld selbst bringt Vertrauen – in das Geld und jene, die es haben.
Das Gottvertrauen schmückt den Dollar, aber mehr als Schmuck ist das nicht. Das Geld selbst bringt Vertrauen – in das Geld und jene, die es haben. (c) Clemens Fabry
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Dass der „allseitige Vermittler“ in die Welt kam, hat einen biologisch-anthropologischen Hintergrund. Als die sozialen Einheiten zu groß wurden, konnte Kooperation nicht mehr durch persönliche Bezüge gewährleistet werden.

Wenn das Geld das Band ist, das mich mit der Natur und dem Menschen verbindet, ist das Geld nicht das Band aller Bande? Kann es nicht alle Bande lösen und binden? Ist es darum nicht auch das allgemeine Scheidungsmittel? Es ist die wahre Scheidemünze wie das wahre Bindungsmittel, die galvanochemische Kraft der Gesellschaft.“ So umschrieb Karl Marx das Janusgesicht des von ihm so genannten „allseitigen Vermittlers“. Er meinte einerseits die befreiende Macht des Geldes – es macht von persönlichen Beziehungen und Launen unabhängig – und andererseits die dehumanisierende Macht des Geldes: Jeder wirft es nur als „Köder“ aus, um „das Wesen des anderen, sein Geld, an sich zu locken“.

Wie kam so ein Mirakel in die Welt? Die meisten Erklärungen setzten auf Handfestes: Geld sei erfunden worden, um Warenverkehr zwischen Personen zu ermöglichen, die in räumlicher und zeitlicher Distanz leben (und sich nicht mit ihren Produkten auf einem Marktplatz zum Tausch zusammenfinden können). Aber vielleicht steckt mehr dahinter, am Ende gar die Biologie? Das vermutet Gabriela Camela (Chapman University). Sie kommt zu einem ähnlichen Befund wie Marx, aber ohne Bezug auf ihn. Stattdessen geht sie der Frage nach, wie Menschen das sichern, was sie besser können als alle anderen: Kooperation und das Sich-verlassen-Können darauf, dass eine Leistung, die einer für andere erbringt, irgendwann mit einer Gegenleistung vergolten wird.

Seltene Beute wird freigiebig geteilt . . .

Das lief den größten Teil der Menschheitsgeschichte so, dass die Ahnen in kleinen Gruppen von Jägern und Sammlern herumzogen. Frauen (und Kinder) stellten mit Sammeln den Grundbedarf sicher, Männer gingen auf die Jagd. Und wenn einer von ihnen Glück gehabt hatte – das war eher selten –, dann gab er den anderen von der Beute ab, im Vertrauen darauf, bei der nächsten Gelegenheit auch etwas zu bekommen. Man kannte einander, man konnte einander auch ständig im Auge behalten (und gegenüber Kooperationsunwilligen Druck ausüben).

So ging das bis vor 11.000 Jahren. Dann wurden die Menschen sesshaft, die Siedlungen wuchsen, die Gemeinschaften wurden unübersichtlich, man brauchte als Vermittler Institutionen. Eine war das Geld. Es sicherte das Vertrauen und die Kooperation, als persönliche Bezüge das wegen der Gruppengröße nicht mehr konnten und die Menschen einander fremd wurden. Dann wechselte ihr Bezug von dem direkten zwischen Personen zu dem über den „allseitigen Vermittler“: „Einfach zusammengefasst vertrauten Fremde einander nicht, sondern sie legten ihr Vertrauen in ein symbolisches Objekt, das in Zirkulation gebracht werden konnte“, schließt Camera (Pnas, 26. 8.).

Diesen Schluss zieht sie aus Experimenten. Sie hat 448 Studenten ins Labor gebeten und in verschieden großen Gruppen – zwei bis 32 – ein „helping game“ spielen lassen: Ein Mitglied, Camela nennt es „producer“, hat etwas im Überschuss, fiktive „consumption units“ (CUs). Ihm gegenüber ist ein „consumer“, er hat keine CUs, leidet Mangel. Dem kann der „producer“ abhelfen, er kann dem „consumer“ etwas schenken. Dann werden ihm sechs CUs abgezogen. Dem „consumer“ hingegen werden zwölf gutgeschrieben (die Spielleitung vermehrt den Einsatz). Der „consumer“ ist also der Profiteur. Vorderhand nur er. Dann geht das Spiel in die nächste Runde, die Rollen werden getauscht (immer wieder). Nun können beide profitieren, wenn der Beschenkte sich revanchiert. Es ist ja nun mehr im Topf. Revanchiert er sich nicht, kann er sich seines Gewinns freuen, dem „producer“ bleibt der Schaden.

. . . aber nur in überschaubaren Gruppen

Trotzdem gingen 70,7 Prozent das Risiko ein, wenn die Gruppe aus nur zwei Personen bestand. In Vierergruppen taten es noch 49,1 %, bei acht sank die Rate auf 34,4, bei 32 auf 28,2 Prozent. Zu unübersichtlich war die Gruppe geworden. Und die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Personen sich nach dem Rollenwechsel in der nächsten Runde wieder begegneten, war von 100 Prozent in Zweiergruppen auf 3,2 Prozent bei 32 geschrumpft.

Da half es, als in der zweiten Runde des Experiments etwas völlig Wertloses ins Spiel kam: Spielfiguren („tokens“). Mit ihnen konnte sich ein Beschenkter bei einem Geber bedanken. Diese „tokens“ übernahmen bald die Schlüsselrolle, sie entwickelten sich zu – Geld. Und damit zum „Scheidungsmittel“: Wer mit „tokens“ bezahlen konnte, dem wurde gegeben, und zwar unabhängig von der Gruppengröße in 50,4 % der Fälle. Offenbar gelten auch in großen Gruppen „tokens“ als Garant für eine später fällige Gegengabe.

Und wer diese Garantie nicht bieten konnte – keine „tokens“ (mehr) hatte –, erhielt auch kein Vertrauen, keine CUs. „Damit haben wir auch die sozialen Kosten des Geldes entdeckt“, schließt Camera. „Als das Geld etabliert war, wurde die freiwillige Kooperation durch die Norm des Tauschens quid pro quo ersetzt. Die Institutionen von Geschenk und Geld gehen nicht zusammen, das Geld verdrängt das Geschenk.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2013)

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