Austern unter dem Scanner

Austern unter Scanner
Austern unter Scanner(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In einem interdisziplinären Projekt suchen Forscher beim weltweit größten fossilen Austernriff nach Antworten auf letzte offene Fragen.

Das Austernriff der „Fossilienwelt Weinviertel“, das am Teiritzberg nahe der niederösterreichischen Gemeinde Stetten liegt, ist aufgrund seines enormen Alters – 16,5 Millionen Jahre – und seiner Größe weltweit einzigartig. Seit seiner finalen Freilegung 2008/09 wurde in Forschungsprojekten das Wissen etwa zu Ökosystem, Temperaturentwicklung oder Niederschlag laufend erweitert.

Einige Fragen sind aber nach wie vor ungeklärt: Waren Stürme oder ein Tsunami dafür verantwortlich, dass die Austern der Gattung Crassostrea gryphoides kreuz und quer liegen? Wie viele Austern sind es wirklich? Beides konnte bisher nur vermutet bzw. geschätzt werden. Betrachtet man das Austernriff aus der Nähe, ist der Grund für die Schwierigkeiten offensichtlich: Es ist ein wildes Durcheinander, hier eine linke, dort eine rechte Austernschale, halbwegs intakte Schalen neben Bruchstücken. „Es gab bisher keine Möglichkeit einer modernen, wissenschaftlich fundierten Interpretation“, weiß Mathias Harzhauser, wissenschaftlicher Leiter des Austernriff-Projekts und Direktor der geologisch-paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien.

Mit den derzeitigen Methoden kommt man, kurz gesagt, in diesem Fall nicht besonders weit. Das soll sich nun ändern. Gemeinsam mit Forschern anderer Wissenschaftsdisziplinen möchte Harzhauser im Rahmen des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekts „Smart-Geology für das größte fossile Austernriff der Welt“ den wahren Ursachen für das große Durcheinander ein Stück näher kommen. Ihn als Paläontologen interessiere dabei in erster Linie, was vom Absterben des Austernriffs bis zur Ausgrabung passiert ist und welche hydrodynamischen Prozesse dafür mit hoher Wahrscheinlichkeit verantwortlich waren.


Laserscanner und Tsunami-Experten. „Dass wir zu diesem Zweck eine technisch-automatisierte Erfassung mit einer paläontologisch-geologischen Auswertung kombinieren, ist für uns Neuland“, berichtet Harzhauser. Experten für Photogrammetrie der TU Wien sind deshalb ein wichtiger Partner in dem dreijährigen Forschungsprojekt, das im Oktober startet. Weiters bringen die Geologische Bundesanstalt Wien, die 4D-IT GmbH und Experten für Tsunami-Sedimente der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ihr Spezialwissen ein. Den Fachmann in Sachen Laserscanning und Professor für Photogrammetrie an der TU Wien, Norbert Pfeifer, motiviert neben den Fachfragen noch etwas anderes: „In diesem Projekt können wir, anders als es sonst bei interdisziplinärer Zusammenarbeit üblich ist, auch an unseren eigenen grundsätzlichen Fragestellungen arbeiten und unsere Methodik weiterentwickeln.“

Sein Team habe sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Aus den gescannten Daten des „Austerngebirges“ wolle man mittels eines speziellen Algorithmus ein virtuelles Austernmodell errechnen, wodurch es möglich sein soll, die Austern zu zählen. „Gelingt das, kann man daraus auch reale Austern rekonstruieren, mit denen man im Strömungskanal verschiedene hydrodynamische Szenarien testen könnte“, erklärt Harzhauser – und ergänzt, dass sich diese Methode in der Paläontologie dann auch nutzen ließe, um Anhäufungen verschiedenster fossiler Funde zu erklären.

Im ersten Schritt messen Pfeifer und sein Team mittels Laserscanning, wie weit bestimmte Objekte vom Messgerät entfernt sind. Beim Austernriff planen sie, das Gerät an einer Brücke über den fossilen Austern zu befestigen. Im Prinzip funktioniert das so: Der Laserscanner sendet ein Lichtsignal aus, das von der Austernoberfläche reflektiert wird. Aus der Zeit, die zwischen dem Aussenden des Lichtsignals und dem Eintreffen des reflektierten Strahls vergeht, wird die Entfernung der Austernschale zum Laserscanner gemessen. Daraus ergibt sich ein detailgetreues Relief, das einem Gebirge ähnelt und als Entfernungsbild dargestellt wird. Den jeweiligen Entfernungen werden dabei – ähnlich einem Hitzebild – verschiedene Farben zugewiesen. Um eine hohe Auflösung zu gewährleisten, werde man laut Pfeifer die einzelnen Entfernungsbilder zu einem großen Gesamtbild zusammensetzen.

Bewährte Methode. Sind die fossilen Austern gescannt, wollen die Forscher dann einen Algorithmus entwickeln, der eine automatisierte Erkennung einer Auster ermöglicht. Ihre Form und die Maximalgröße sind dabei zwei wichtige Anhaltspunkte. Ganz ohne händische Überprüfung wird es wie auch bei anderen Anwendungsgebieten dennoch nicht gehen. „Wenn wir eine automatisierte Erkennung zwischen 80 und 85 Prozent schaffen, sind wir wirklich gut“, betont Pfeifer – womit die Chance zu erfahren, wie viele Austern dort tatsächlich liegen, in greifbare Nähe rücken würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2013)

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