„Ich helfe Sie“: Das Deutsche in 30 Jahren

Das Deutsche in 30 Jahren
Das Deutsche in 30 Jahren(c) FABRY Clemens
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Migrantensprachen wie Türkisch sind dabei, das Standarddeutsch massiv umzuwandeln, behauptet der Sprachwissenschaftler Uwe Hinrichs in einem Buch. Er rührt damit an ein Tabu der Linguistik.

Gute Nachrichten für die Deutschschüler von morgen: Sie dürfen in ihren Aufsätzen „mit einen Freund“, aber gern auch „mit ein Freund“ schreiben. Sie dürfen „Ich hab ihn geholfen“ schreiben, und vielleicht sogar „Ich hab sie geholfen“. Sie dürfen schreiben, dass sie „auf einem Konzert gefahren sind“ und wie toll es „auf diesen Konzert“ war.

In diese Richtung geht es jedenfalls, und zwar rasant, glaubt man dem deutschen Sprachwissenschaftler Uwe Hinrichs. Während sich Sprachschützer auf das „Denglisch“ eingeschossen haben, beschreibt Hinrichs in seinem Buch „Multikultideutsch“ einen viel massiveren Umbau der deutschen Sprache: durch die großen Migrantengruppen Deutschlands.

Das „kreolische Prinzip“

Und damit ein Tabuthema der Linguistik. Dabei verhält er sich gegenüber seinem Forschungsgegenstand so kühl und wertungsfrei wie ein Biologe gegenüber Planktonproben. Er wolle, schreibt er, „das sehen, was viele sehen, aber gern verschweigen, es einordnen in die Analogien, die die Geschichte und die Sprachen in der Welt bieten, und einen Blick in die Zukunft wagen.“

Der Professor für südslawische Sprachwissenschaft an der Uni Leipzig kennt viele wichtige Migrantensprachen, in „Multikultideutsch“ widmet er sich dem Türkischen, Arabischen, Russischen, Polnischen, Albanischen, den Sprachen Exjugoslawiens und den Balkansprachen. Und er prophezeit „eine Umwandlung des Sprachsystems in großem Ausmaß“, „von dem im Moment niemand sagen kann, wo genau sie endet und wie das Deutsche in etwa 30 Jahren aussehen wird“. Alles läuft ihm zufolge auf Vereinfachung hinaus, das „kreolische Prinzip“: „Wenn Mehrsprachigkeit dominiert, wird alles beseitigt, was man für die Verständigung nicht braucht.“ Wortformen, Fälle, Endungen werden unwichtiger (vieles ergibt sich ja ohnehin aus dem Zusammenhang), es kommen viel mehr Varianten.

Deutsch wird fallarme Sprache

Die wichtigste Veränderung laut Hinrichs ist das Fallsterben („Kasusabbau“). Das Deutsche werde sich an die anderen germanischen und die romanischen Sprachen annähern, in denen Fälle und entsprechende Endungen fast verschwunden sind. Stattdessen herrscht das Muster „Präpositionen plus x“ vor. So funktionieren auch einige der wichtigsten Migrantensprachen, wie Türkisch, Rumänisch, Bulgarisch oder Arabisch.

„Dem Präsidenten sein Haus“: Hinrichs bringt besitzanzeigende Wendungen wie „dem Präsidenten sein Haus“ u.a. mit dem Türkischen in Verbindung (dort gibt es das Muster „Präsident-dem-Haus-sein“). Bereits die nächste Generation werde sich an den Genetiv kaum erinnern und ihn nur noch kurios finden, ist Hinrichs überzeugt. Aber er geht noch weiter...

„Wegen den Schlechtwetter“: Gemäß dem „Multikultideutsch“-Szenario ist der Dativ der nächste Todeskandidat, sein Mörder heißt Akkusativ. „Ich geh mit den Kinder raus“, „er hat ihn das geschenkt“, heißt es dann, der (Pseudo-)Akkusativ wird der Fall für alle Fälle. Genauer gesagt, ein „allgemeiner Fall, der sich an den Akkusativ anlehnt“.

„Die Zukunft für die Banken“, „die Chancen für die Banken“: Statt der Fälle kommen Fürwörter, und da vor allem „für“: Es zeige immer häufiger eine Beziehung zwischen Satzteilen an, erklärt Hinrichs. Und er verweist auf das Bulgarische, wo „za“ („für“) viele neue Funktionen übernommen hat, die früher Fälle hatten.

„Man muss aus Fehler lernen“, „mit ein lieber Eisbär“ wird hoffähig: Die Kongruenz, der „Kitt“ zwischen den Wörtern bröckelt.

„Die Bedeutung Österreich“: die nächste Stufe nach dem jetzt schon verbreiteten „des alten Österreich“. Auch diese „Nullendung“ bringt Hinrichs mit dem Einfluss der Migrantensprachen in Verbindung.

„Problem ist...“: Artikel schwinden und schwanken, kein Wunder: Sie sind das Härteste am Deutschen, und kaum eine Migrantensprache kennt sie.

„Mehr aufregend“: So steigert das Türkische, aber auch Balkansprachen.

„Tasche Geld“ (statt „Taschengeld“): Orientalische Sprachen stellen, um die Verbindung von Wörtern auszudrücken, die Wörter gern einfach nebeneinander („Izafet“-Methode, von arabisch „idafah“, „Anfügung“).

Wie sehr aber hat das alles wirklich mit Migrantensprachen und Migranten zu tun (auch Nichtmigranten scheren sich immer weniger um Fälle und Kongruenz)? Hinrichs hat zwar bemerkenswerte Details zur Beziehung zwischen deutschem Sprachwandel und Migrantensprachen ausfindig gemacht, trotzdem bleibt vieles offen. Und stimmt es wirklich, dass man „selbst in offiziösen Nachrichtensendungen nur noch flächendeckend die Variante ,mit diesen Problem‘“ hört? (Dann wären Österreichs „ZiB“-Sprecher Wunder an Sprachbeherrschung.) Werden die „falschen“ Formen wirklich so schnell ins Standarddeutsch wandern? Und zu guter Letzt eine linguistisch verpönte Frage: Wird die Sprache dadurch besser oder schlechter?


Uwe Hinrichs' Buch „Multikultideutsch“ ist im Beck-Verlag erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2013)

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