Wem der Mond die Stunde schlägt

Mond Stunde schlaegt
Mond Stunde schlaegt(c) Zhang et al., Current Biology
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Bisher dachte man bei inneren Uhren an die, die sich an der Sonne orientieren. Nun fanden sich - bei Meeresleben - in einem Wiener Labor eine Monduhr und in einem britischen Labor eine Tidenuhr.

1729 hielt der Physiker de Mairan eine Mimose ein paar Tage in völliger Dunkelheit – und immer bei Sonnenuntergang faltete sie doch die Blätter ein. „Die Mimose nimmt also den Einfluss der Sonne wahr, ohne ihr in irgendeiner Weise direkt ausgesetzt zu sein“, berichtete der Forscher der Akademie in Paris: „Herr de Mairan lädt die Physiker und Botaniker ein, diese Beobachtung weiter zu verfolgen.“

Aber die winkten ab, erst 1964 ließ Jürgen Aschoff einen Stollen in den Berg neben dem Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie im bayerischen Andechs treiben. Dort zogen Freiwillige ein, wohl versorgt, aber von der Außenwelt abgeschnitten, ohne Orientierung in der Zeit, kein Radio, keine Uhr. Das Licht konnten sie an-/abdrehen, wann sie wollten, sie taten es auch, organisierten ihre Tage wie früher, verlängerten sie nur etwas, auf 25 Stunden. Seitdem wissen wir, dass wir wandelnde Uhren sind bzw. haben. Sie schlagen den Takt eines ungefähren Tages („circadian“) und andere Rhythmen, und sie werden immer wieder von einem äußeren Zeitgeber – der Sonne – gestellt bzw. geeicht.

Damit hatte die Biologie ein neues Feld, die Chronobiologie. Sie wurde rasch vertieft, an Menschen, Fruchtfliegen und Fadenwürmern etwa, alles Landlebewesen. „Das Leben ist aber im Meer entstanden, ebenso wie die Sinneszellen“, erklärt Kristin Tessmar-Raible (Uni Wien): „Wenn man zu den Ursprüngen will, muss man ins Meer.“

Dort herrschen noch ganz andere Rhythmen. Tessmar-Raible erkundet einen an Würmern (Platynerei dumerilii). Die haben eine „circadian clock“, aber sie richten sich zumindest einmal im Leben nicht (nur) nach der Sonne, sondern nach dem Mond: Kurz nach Neumond reproduzieren sie sich, feinst koordiniert, Männchen und Weibchen steigen im Wasser auf und setzen Keimzellen frei, dabei sterben sie. Das wusste man schon. „Unklar war, ob dieser Takt von verschränkten ,circadian clocks‘ kommt oder von einer davon unabhängigen Uhr“, berichtet die Forscherin. Sie hat es geklärt, hat die „Sonnenuhren“ bzw. ihre Gene ausgedreht: Die Würmer änderten bei Neumond ihr Verhalten, sie haben eine Monduhr (Cell Reports, 26.9.).

Die Uhren spielen feinst zusammen

Die spielt mit der anderen zusammen – auch bei Neumond steigen die Würmer erst auf, wenn die Sonne seit vier Stunden untergegangen ist und kein Räuber mehr droht –, aber vieles ist noch ungeklärt, die Sensorik, die Molekülkaskaden. Das gilt auch für eine dritte Uhr. Lin Zhang (Leicester) hat sie gefunden (Current Biology, 26.9.), bei Meeresasseln (Eurydice pulchra). Die leben an Küsten, im Rhythmus der Gezeiten, bei Flut fressen sie, bei Ebbe graben sie sich ein. Dabei folgen sie einer Tidenuhr. Aber die Gezeiten verschieben sich, und wenn die Flut am hellen Tag kommt, legen die Asseln einen Sonnenschutz an, dafür sorgt die „circadian clock“.

Ähnliche Mond- und Gezeitenuhren darf man bei vielem Meeresleben vermuten, und das Erbe wurde beim Aufstieg auf das Land wohl mitgenommen: Vor Kurzem zeigte sich, dass wir bei Vollmond – auch wenn wir ihn überhaupt nicht sehen – kürzer schlafen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2013)

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