Hamsterzellen: Fabriken der Biotechnologie

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Österreichische Forscher haben das komplette Genom des chinesischen Hamsters sequenziert.

Für die heimische Forschungsszene ist es eine Premiere: Erstmals wurde unter österreichischer Leitung ein komplettes Tiergenom sequenziert – nämlich das des chinesischen Hamsters (Cricetulus griseus). Diese Meldung allein ist eher für die Wissenschafts-Community interessant; aber sie ist auch für die Allgemeinheit wichtig: Denn Zellen des chinesischen Hamsters sind die wichtigsten Vehikel zur Produktion biologischer Medikamente.

Rund 100 Medikamente – 70 Prozent aller medizinisch eingesetzten Biomoleküle – stammen aus diesen Zellen, etwa Antikörper gegen Krebs und Rheuma oder Wachstumsfaktoren. Die Hamsterzellen haben nämlich einen großen Vorteil: Die Zuckerketten, die an ein neu synthetisiertes Protein angehängt werden, ähneln jenen des Menschen stark. Und dieses Glykolisierungsmuster ist entscheidend dafür, wie gut eine Substanz bei einer bestimmten Art wirkt.

Konkret werden die Biomoleküle in sogenannten CHO-Zellen (Chinese Hamster Ovaries) produziert: Diese Zelllinien stammen aus Ovarien (Eierstöcken) der chinesischen Hamster, sie wurden im Jahr 1957 isoliert, immortalisiert (die Zahl der möglichen Zellteilungen ist dadurch unbegrenzt) und in Kultur genommen.

Es gibt aber ein Problem mit CHO-Zellen: Sie sind genetisch sehr instabil. Warum das so ist, weiß man nicht, aber immer wieder wandern DNA-Abschnitte in andere Regionen des Genoms oder sogar auf andere Chromosomen. Die für die Biotechnologen unangenehme Folge: „Man braucht etwa ein halbes Jahr, um jeweils die richtigen CHO-Zellen für die Produktion im Bioreaktor zu finden“, erläutert Nicole Borth, Forscherin am Comet-K2-Zentrum ACIB (Austrian Centre of Industrial Biotechnology). Die Auswahl geschehe derzeit rein empirisch.

Gemeinsam mit ihrem Bielefelder Kollegen Alfred Pühler hat Borth aber eine bessere Methode ersonnen: Wenn die Basensequenz des Originalhamsters bekannt ist, könnte die Auswahl der richtigen CHO-Zellen viel effizienter und geplanter geschehen. Die beiden Forscher leiteten dazu eine 23-köpfige Arbeitsgruppe – vom ACIB, der Boku Wien, der Uni Bielefeld sowie der Pharmakonzerne Pfizer und Novartis), die gemeinsam das Hamster-Genom entschlüsselten (Nature Biotechnology, August 2013, S. 694).

Das größte Problem dabei war es, die Gene den einzelnen Chromosomen zuzuordnen. Der Hamster hat 22 Chromosomen und rund 25.000 Gene – also ähnlich viel wie der Mensch. Der wichtigste Schritt vor der eigentlichen Analyse war die Trennung der verschiedenen Chromosomen durch „flow cytometric cell sorting“. Bei manchen Chromosomen gelang dies nicht, weil sie sich zu ähnlich sind; dort kamen Methoden der Bioinformatik zum Einsatz. Die neue Hamstersequenz, deren Erarbeitung rund eine Mio. Euro gekostet hat, kann nun als Referenz dienen, um das Erbgut der CHO-Zellen, die in tausenden Reaktoren auf der ganzen Welt leben, untersuchen und anpassen zu können. Übrigens: Das Hamstergenom kann man sich unter www.chogenome.org anschauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2013)

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