Philosophicum Lech: Besessene Roboter und neidische Menschen

Philosophicum Lech / Robert Pfaller
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Wir sollen nicht „das Ich“ sagen, erklärte Thomas Metzinger. Viele sagten es trotzdem – und sprachen über das Ich im Netz, im Kino und auf dem Weg zum Galgen. Bericht von einem nicht selbstlosen Symposium.

Sagen Sie nie mehr ,das Ich‘!“, befahl Thomas Metzinger, Philosoph aus Mainz. Warum denn nicht? Weil das „logischer Müll“ sei. Denn die Identität sei kein Ding, sondern eine Relation. Nun ja. Wir könnten schüchtern entgegnen, dass wir auch andere Substantive, die nicht wirklich für ein Ding stehen, z.B. „Liebe“ oder „Wahlverhalten“, mit einem Artikel versehen, aber wenn es Metzinger so wichtig ist...

Und fragen wir auch nicht, ob das Ich eine Illusion sei! Diese Frage sei, so Metzinger, begrifflicher Unsinn: Denn sie setze ein erkennendes Subjekt voraus. Und das Ich (Verzeihung!), von dem Metzinger sprach, ist das, was Richard David Precht zwei Tage davor in Lech „Körper-Ich“ genannt hatte. Über dieses hatte Metzinger tatsächlich Interessantes zu erzählen. Etwa: Wenn man einer Testperson eine Hand abdeckt und eine Gummihand vor sie legt und diese sowie die andere Hand streichelt, hält die Person bald die Gummihand für ihre eigene. Sie ist zur Phantomhand geworden, wie amputierte Gliedmaßen, die trotzdem wehtun. Ähnlich kann man Außerkörpererlebnisse provozieren. Oder Testpersonen beibringen, einen Roboter mit Gedanken zu steuern: Dieser sei dann vom Bewusstsein eines Menschen „besessen“. Spannende Versuche, die Licht auf das Leib-Seele-Problem werfen. Wie die Spiegelneuronen, die Bewegungen anderer Menschen spiegeln: „Wir schwimmen in einem Meer der interkorporalen Subjektivität“, sagt Metzinger. Schön, aber damit ist das Ich noch nicht endgültig perdu oder artikellos.

Das war wohl auch im Sinne von Miriam Meckel (St.Gallen), die über „Das Ich im Netz“ sprach. Sie brachte u.a. einen Satz von Walt Whitman, der den Widerspruch zwischen Spaltung und Einheit des Ich poetisch auflöst: „I am large, I contain multitudes.“ Doch vor allem beklagte sie den angeblichen Trend zur Selbstoptimierung der Menschen, der durch die digitalen Medien gefördert werde. Wir seien „permanente Beta-Versionen unserer selbst“, auf dem Weg zu „Maschinenmenschen, unterworfen den Gesetzen der totalen Digitalisierung und Vernetzung“. Brave New World 2.0. Wohliger Schauder. Blick aufs Smartphone. Es gehorchte noch.

Dass wir weiterhin leibliche Wesen sind und im Internet weder essen noch schlafen noch küssen, wird in solchen Cybervisionen gern ausgeklammert. In anderen Vorträgen war es dagegen erfreulich präsent: dass ohne Körper nicht nur Gefühle, sondern auch Wahrnehmungen unmöglich sind. „Wahrnehmen kann nur ein leibliches Subjekt“, erklärte etwa Lambert Wiesing (Jena), der sonst in der Tradition Husserls ausgesprochen vorsichtig formulierte. „Warum es Wahrnehmung gibt? Das weiß ich nicht. Ich habe das Gefühl, dass es nur sehr wenige gibt, die das wissen, und die haben sich bei mir noch nicht gemeldet.“ Auf diese Phänomenologie können wir uns alle einigen. Wiesings Unterscheidung zwischen Gegenstands- und Bildwahrnehmung dagegen besticht nur auf den ersten Blick. „Ich sehe ein Bild und bin weg“, sagt er. Und was ist mit einem Bild, das mich jäh alarmiert? Oder gar einem Bild, auf dem ich selbst drauf bin?

Postmoderne Wortballungen

Und wenn ich mich „in der subjektaffirmativen Tradition ontologisch als Individuum fasse, das in epistemischer Hinsicht mit der Perspektive der ersten Person Singular identisch ist“? Nicht erschrecken, diese Formulierung ist nicht vom Autoren-Ich, sondern von Christiane Voss (Weimar). In ihrem Vortrag („Zur technoästhetischen Transformation des Selbst“) erschlugen einander die postmodernen Wortballungen, es blieb nur ein Inhalt hängen: Wir sitzen mitsamt unseren Körpern im Kino und können daher mit den Figuren auf der Leinwand fühlen und weinen. Voss spricht lieber von der „Zuschauerinstanz in ihrer geistigen und sensorisch-affektiven Resonanz auf das Filmgeschehen, welche der Leinwand zuallererst einen dreidimensionalen Körper leiht und somit die zweite Dimension des Filmgeschehens in die dritte Dimension ihres spürenden Körpers kippt“.

Dass man ohne solche Begriffssalate Kluges zur Kultur sagen kann, bewies Robert Pfaller (Wiener Uni für angewandte Kunst). Er fand etwa einen feinen Sinn darin, dass wir mehrere psychische Instanzen haben: Sonst hätten wir weder Ironie noch Humor. So brachte er den Witz vom Delinquenten, der, am Montagmorgen zum Galgen geführt, seufzt: „Die Woche fängt ja gut an.“ Solcher Galgenhumor wäre undenkbar, gäbe es nicht im Kopf eine Instanz, die einen Abstand zur schrecklichen Realität bewahrt.

Wenn der Staat Gouvernante spielt

Genau dieser Abstand gehe unserer Kultur verloren, die Forderung „Du musst immer ganz du selbst sein“ sei freud- und humorlos wie der Narzissmus, sagt Pfaller. Zugleich sieht er, dass soziale Einrichtungen verloren gehen, während virtuelle Netzwerke wachsen: die Freiheit im Netz als kümmerlicher Trost für das arme wirkliche Leben. In dem der Neid auf das Genießen der anderen wächst und öffentliche Institutionen, um den Mangel an echter Fürsorge zu kaschieren, sich als Gouvernanten aufspielen, Rauchen, Fett und hässliche Worte verbieten.

Solche fielen in Lech natürlich kaum. Es sei denn, man sieht die „Berechenbarkeit“, vor der Miriam Meckel beharrlich warnte, als hässliches Wort. Konrad Paul Liessmann sieht es nicht so: Auch Immanuel Kant sei berechenbar gewesen, nach seinen Spaziergängen hätten die Königsberger ihre Uhren gestellt. In diesem Sinn: Das Philosophicum war auch heuer perfekt berechnet. Ein kleiner Trend zur altdeutschen Professoralität – mit allzu vielen vom Blatt gelesenen Satzungetümen – soll bitte nicht dauerhaft sein.

Thema des nächsten Philosophicum Lech (17.–21.9.2014): „Schuld und Sühne. Nach dem Ende der Verantwortung“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2013)

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