Gemeinsam gegen Gefahren aus der Umwelt

Ameisenhaufen
Ameisenhaufen(c) www.bilderbox.com (Erwin Wodicka)
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Eine Evolutionsbiologin am IST Austria untersucht das Phänomen der sozialen Immunisierung: Ameisen nutzen ausgeklügelte Methoden, wie sie kranke Artgenossen pflegen und davon selbst profitieren.

Gesunde pflegen Kranke – ja mehr noch: Erste Krankheitssymptome werden erkannt und von anderen nach Möglichkeit beseitigt. Dieses zutiefst soziale Verhalten – das bei uns Menschen allzu oft nicht selbstverständlich ist – studiert die Evolutionsbiologin Sylvia Cremer am Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg. Ihre Forschungsobjekte: einzelne Ameisen bzw. Kolonien.

Über eine „Mischung aus Interesse und praktischem Sinn“ sei sie zu den Ameisen gestoßen, erzählt Cremer. Sie wollte sich wissenschaftlich mit Tieren beschäftigen, die in großen Mengen vorkommen und zugleich in einem sozialen Zusammenhang leben. Hier stößt man unvermeidlich auf Hautflügler, und da wiederum auf Ameisen. Einige hunderte bis viele tausend Einzelexemplare leben in einer Kolonie (bei anderen Hautflüglern wie Honigbienen, Hummeln oder Wespen spricht man von einem Volk), sie verfügen meist über eine, bei größerer Zahl auch über mehrere Königinnen.

Eine große Gefahr für die Kolonien liegt auf der Hand: Wenn eine Ameise eine Krankheit einschleppt, dann könnte bald der gesamte Staat befallen sind und zu Grunde gehen. So wie dies beispielsweise bei der Varroamilbe oder der Amerikanischen Faulbrut in den Zellen der Honigbiene der Fall ist.

Die Cremer-Gruppe, die zehn Personen am IST Austria umfasst (Postdocs, Doktoranden, wissenschaftliche Mitarbeiter), studiert die individuelle und kollektive Krankheitsabwehr der Ameisen, indem sie deren Hygieneverhalten beobachtet und ihre Immunabwehr misst. Die Tiere werden dazu in handlichen Plastikboxen mit passenden Einbauten gehalten (siehe kleines Foto rechts). Als Ameisen bevorzugen die Forscher Lasius neglectus, eine drei Millimeter große, bisher vernachlässigte Art, die offenbar aus Kleinasien stammt, erstmals 1990 in Budapest beobachtet wurde und sich seither in ganz Europa ausbreitet. Als Krankheitserreger wird der bodenbewohnende Pilz Metarhizium anisopliae verwendet, der als Parasit verschiedene Insekten befällt und fast stets deren Tod bewirkt. Dieser Pilz wird bei der Schädlingsbekämpfung eingesetzt und ist daher weitverbreitet.


Mikroinfektionen. Wenn Krankheiten in die Kolonie eingeschleppt werden, dann kommt es rasch zu einer Interaktion zwischen gesunden und kranken Tieren. Ein Pilz benötigt ein bis zwei Tage, um in die befallene Ameise einzuwachsen. Schon in diesem Stadium treten die gesunden Ameisen in der Kolonie auf den Plan: Anders als man vielleicht erwarten würde, vermeiden sie nicht den Kontakt mit den kranken Exemplaren; vielmehr umgeben sie die befallenen Tiere, klauben Krankheitserreger ab und putzen ihre Mitbewohnerinnen (männliche Ameisen kommen nur knapp vor dem Hochzeitsflug einer Königin auf die Welt und leben zwei Wochen).

„Uns geht es jetzt um die Interaktion zwischen gesunden und kranken Tieren: Wie wirkt sich etwa der Pilz auf das helfende Tier aus?“, erläutert Cremer. Eine erste Erkenntnis: Die Helferinnen stecken sich durch die Nähe und den Körperkontakt tatsächlich mit dem Krankheitserreger an – allerdings haben diese Mikroinfektionen ein geringeres Ausmaß, und sie stimulieren zudem das Immunsystem: Das Abnehmen von Krankheitserregern wirkt auf die helfende Ameise wie eine Impfung. Die Biologin vergleicht das mit der Art, wie früher bei uns Menschen eine Pockenimpfung (mit einer kleinen Menge geschwächter, aber „lebendiger“ Viren) verabreicht wurde (Variolation oder Inokulierung). Cremers Gruppe konnte zeigen, dass durch die Mikroinfektionen bestimmte Immungene hochreguliert werden, deren Produkte das Pilzwachstum hemmen.

An und für sich sind bei gesunden Tieren zwei Verhaltensweisen gegenüber kranken Artgenossen verbreitet. Zum einen isolieren sie kranke Mitbewohner: Dieses Verhalten ist v.a. bei Termiten beschrieben, die ihre erkrankten Mitbewohner einmauern; bei Ameisen wurde auch beobachtet, dass infizierte Brut aus der Kolonie entfernt wird. Zum anderen kümmern sich eben die Gesunden um die Kranken. (In manchen Fällen, etwa bei starkem Befall, sondern sich zudem kranke Tiere auch selbst ab.)

Viele Details des „sozialen Immunsystems“ liegen freilich noch im Dunkeln. In vielen Teilprojekten wollen die Forscher herausfinden, wie Ameisen frühzeitig eine Infektion erkennen, welche Abwehrmechanismen von den Tieren im Detail ergriffen werden – etwa Desinfektion der geputzten Erkrankten durch Körpersäfte (Ameisensäure!) oder Einbau von bioziden Substanzen wie Baumharz in die Nester –, wie Art und Häufigkeit von Sozialkontakten reguliert werden oder welchen Einfluss Befallsdosis und Größe einer Kolonie haben.

Ein neues Licht werfen die bisherigen Ergebnisse jedenfalls auf den Grund für das intensive Sozialverhalten: Während bisher manche vermuteten, dass es sich um ein altruistisches Verhalten handle, wird durch die soziale Immunisierung klar, dass Ameisen auch davon profitieren können, wenn sie sich der Gefahr einer Infektion aussetzen.

Zur person

Sylvia Cremer-Sixt(geb. 1973 in Nürnberg) ist seit 2010 Assistant Professor am
Institute of Science and Technology (IST) Austria und leitet
dort ein zehnköpfiges Forschungsteam.

Ihr Doktoratsstudium absolvierte sie an der Uni Regensburg, sie
forschte zudem am Wissenschaftskolleg zu Berlin und an
der Universität Kopenhagen.

Im Jahr 2010 bekam sie einen ERC Starting Grant (rund 1,3 Mio. Euro für fünf Jahre) für die Untersuchung der „sozialen Vakzinierung“.
2011 wurde sie als Mitglied in die Junge Kurie der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gewählt.
Im September 2013 erhielt sie den renommierten deutschen Walther-Arndt-Preis.
IST Austria

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2013)

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